Original

6. Februar 1925

Steineklopfen! Steineklopfen gilt und galt im Volk immer als das mühsamste, verächtlichste, uneinträglichste Gewerbe. Wenn wir als Kinder in den Ruf der Faulheit kamen, hieß es immer, wir müßten in unserm späteren Leben Steine klopfen gehen.

Das schreckte mich nie über die Maßen. Denn ich kannte einen Steinklopfer, den ich immer um seinen Humor und um seine Überlegenheit über das Leben beneidete. Und der Steinklopfer überhaupt gehörte für mich immer in das Bild der lieben, alten Landstraße, der Landstraße, deren Band hellgelb leuchtete, - nichts von den grauen Schlacken und dem rotgrüngrauen Steingemisch von Merkholz -, mit den endlosen Pappelreihen, die gradeaus bergauf bergab liefen, der dösigen Postkutsche und den verflogenen Vesperpsalmen der Kuhbuben.

Da stand der Steinklopfer am Straßenrand, über seine Arbeit gebeugt, hieb mit seinem Hammer zu und frieß mehr aus Gewohnheit, als aus Bedürfnis bei jedem Hieb sein gedämpftes hä! hä! in die Luft. Durch die Einsamkeit der Landstraße - denn die schöne alte Landstraße war einsam - klangen seine Hammerschläge wie das Picken des Spechts im Waldesschweigen. Ich höre noch heute in der Erinnerung den Steinklopfer im Schwarzwald, der an der Straße vom Kniebis hinunter nach Rippoldsau seine Haue schwang, als ich an einem sonnigen Herbsttag, einen dicken Zweigbuschen als Bremse am Rad, die endlosen Zickzacke zutal fuhr und die Hammerschläge erst über, dann unter mir hörte, erst leise, dann stärker, dann leiser wieder, bis sie hinter und über mir verhallten.

Diogenes von Sinope war in seinem Faß ein großer Philosoph und ein Mensch ohne Ansprüche und Bedürfnisse, also was man heute schon einen glücklichen Menschen nennen kann.

Jener Steinklopfer am Kniebis erscheint mir immer noch als ein Gegenstück zu Diogenes. Wenn er eine richtige Steinklopferseele hat, so tauscht er sicher mit keinem Alexander. Und noch viel weniger mit einem Schuster, Schneider oder Schreiber oder sonst einem der Armen, die bei ihrer Arbeit statt des blauen Himmels eine weiße Gipsdecke über sich haben.

Der richtige Steinklopfer muß über seinem Handwerk zum Philosophen werden. Seine Beschäftigung läßt ihm zum Sinnieren Zeit im Überfluß. Sie lenkt ihn nicht ab, sein Hieb ist nur wie der Pendelschlag seiner Gedankenuhr.

Manchmal haut er gemütlich zu, ohne Leidenschaft, ohne Hintergedanken, ohne Überdruck, im ersten Gang sozusagen. Dann geht ihm dies und jenes durch den Kopf, der Pendel schlägt kräftiger aus, der Steinklopfer denkt an einen, mit dem er ein Hühnchen zu pflücken hat, oder an die Verdrehtheit der Welt und all die Dummen und Schlechten, die zum Teufel gejagt werden müßten, damit die Welt nicht mehr verdreht wäre. Und unter dem faustdicken Schotterstein, auf den sein Hammer niedersaust, denkt sich der Steinklopfer die Nase eines solchen Fatzke - die Nase, nicht etwa den Schädel, denn er will niemand totschlagen, nur die Nase will er ihm zu Mus hauen, damit der Kerl einen Denkzettel hat. Hä! hä! Und der Steinklopfer lacht und ist zufrieden, weil er sich in Gedanken Genugtuung verschafft hat.

Wenn der Steinklopfer nicht grade Steine klopft, streift er durch den Wald und sucht sich Hammerstiele. Oder glauben Sie etwa, es sei gleichgültig, auf welchen Stiel er seinen Hammer montiert? Auf den Stiel kommt es ihm mindestens so viel an, wie dem Billardspieler auf das Queue oder dem Geiger auf den Bogen. Der Stiel muß von einem ganz besondern Holz sein, nicht zu dick und nicht zu dünn, biegsam, aber nicht zu biegsam, er muß „ziehen“, seine Federkraft muß die Kraft des Armmuskels in einem ganz bestimmten Verhältnis multiplizieren. Hier könnte man sagen: Der Stiel ist der Mann.

Kürzlich hatte ich Gelegenheit, seit langer Zeit zum ersten Mal wieder einem Steinklopfer zuzusehen. Ich konnte feststellen, daß die Technik sich verändert hat. Früher hielt der Mann den Stein unter der Spitze der Schuhsohle fest, jetzt arbeiten sie sozusagen aus freier Hand, feuern auf den Stein los, wo er liegt.

Ach ja, die Welt schreitet unablässig voran.

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