Unter den Briefen zahlreicher Luxemburger befand sich gestern eine Postkarte des Inhalts, daß Jackie Coogan zu seinem neuesten Schlager „P’tit Pèrc“ bei Medinger ab Freitag, 6. Februar, einlädt. Die Karte enthält auch ein Bild des kleinen Weltwunders: Große, dunkle, seitwärts gerichtete Augen, Kindernäschen mit lebhaften Nüstern-, das einzig Erwachsene in dem Gesicht ist der Mund. Dieser aber ist ein Frauenmund. Er hat den Zug, den man schmerzlich enträuscht nennen könnte, wenn darin nicht das Bestreben zu erraten wäre, Schmerz und Enttäuschung unter Liebenswürdigkeit und Verzeihung zu verbergen.
Diejenigen meiner Leser, die sich vorgenommen haben, Jackie Coogan zu sehen, werden nicht ohne Interesse die folgende Geschichte lesen, die mit der Unterschrift M. G. schon vor Monaten in einem Kölner Blatt erschien:
„Die Eltern Jakob Cohns waren irgendwo im Osten ganz arme Leute. In irgendeinem Städtchen, wo abgelegen und winklig die Judengäßchen ein sagenhaftes Leben der Stille führen. Bis eines Tages Brand über den Dächern aufschwelt und Morddolche blutige Arbeit tun. Aber eines Tages hielten sie das erstickende, dumpfe, ewig bedrohte Sein nicht mehr aus. Sie bündelten, was sie hatten, zu Packen und Päckchen und kauften für den Rest ihrer Ersparnisse einen Überfahrtsschein für die dritte Klasse eines jener großen Passagierdampfer, in denen die Leute mit Geld in märchenhaft schönen Salons sitzen, während die anderen zu vielen Hunderten zusammengepfropft im üblen Dunst des Zwischendecks die sieben Tage nach Amerika aushalten müssen.
„Drüben bekamen sie einen Sohn, den sie Jakob nannten. Er war frühreif und wählte sich noch ganz jung einen Beruf, in dem er binnen kurzer Zeit Außerordentliches leistete. Und eines Tages schiffte sich in einem Alter, in dem andere Kinder gerade die Tertia besuchen, der kleine Jude Jakob Cohn wieder auf einem Dampfer ein. Der hieß „Leviathan“ und fuhr zurück nach Europa. Diesmal aber fuhr Jakob Cohn erster Klasse. Und wenn er an Deck ging, kam der Kapitän, ein alter bärtiger Mann, von der Kommandobrücke und ließ ihn auf seinen Knien reiten. Drüben in London stand schon der Bürgermeister im Hafen. Er hatte eine große goldene Keite um den Hals gehängt und drückte dem kleinen Juden Jakob Cohn ein großes Pergament in die Hand.
„Und überall standen Leute, die Hurrah schrieen und Photographen und Filmmenschen, und in allen Zeitungen war das Bild zu sehen. Selbst die großen antisemitischen Tagesblätter Europas brachten alle möglichen Nachrichten von dem Leben und Treiben dieses kleinen Jungen. Dann fuhr er nach Paris, Und die Pariser stürmten den Ostbahnhof, als er ankam. Und was soll ich sagen, schließlich fuhr der dreizehnjährige Jakob Cohn nach Rom. Er ging mitten auf das Haus des Papstes zu, klopfte an und siehe da, der Papst, bei dem sich alle Fürsten der Welt um Audienzen drängen, schickte gleich den Staatssekretär heraus, um zu sehen, wer da sei. Der kam zurück und sagte: „Das ist der kleine Jakob Cohn aus Amerika.“
„„Ei!“ sagte der Papst, „na soll er man reinkommen. Ich werde ihm was Schönes schenken.“ Und richtig, er klopfte ihn auf beide Backen und schenkte ihm ein wunderschönes Medaillon, auf das der kleine Jakob Cohn sehr stolz war.
„Das alles geschieht im Jahre 1924 in einem Europa und Amerika, in dem der Rassenhaß eine der Hauptbeschäftigungen der innerlich Beschäftigungskosen ist.
„Und die Geschichte bekommt ein ganz anderes Gesicht, wenn man den Künstlernamen Jakob Cohns einsetzt und dafür schreibt - Jackie Coogan.“