Original

10. Februar 1924

Es ist durchaus nicht unwahrscheinlich, daß unsere Kindskinder einmal in der Geographiestunde lernen werden: Luxemburg, Vorstadt von Mamer.... Mamer, Hauptstadt des Großherzogtums Luxemburg, mit den Vorstädten Cap-Capellen, Mersch, Luxemburg, Esch und Dippach, 1 200 000 Ew.

Mamer hat eine schöne Vergangenheit, warum soll es nicht eine schöne Zukunft haben? Sein Ursprung fällt in die Römerzeit. Damals hieß es Mambra. Würde Mamer heute zerstört und nach 4000 Jahren wieder aufgefunden, so würden die Trümmer seines Schulhauses dafür Zeugnis ablegen, daß es sogar schon eine altgriechische Stadt war. Im Mittelalter hatte Mamer ein Ritterschloß. Dies lag am Tossenberg, auf der Höhe, wo die Straße die Biegung macht. Noch bis in die jüngste Zeit stand diese Ecke im Ruf der Wegelagerei und des nächtlichen Totschlags. Das will nicht heißen, daß die alten Ritter von Mamer nicht durchaus honorige Bürger waren. Einer von ihnen, Philipp von Mamer, war sogar 1214 auf der Hochzeit der Gräfin Ermesinde.

Mamer ist der Geburtsort des Nik Mameranus, der die Geschichte der Zeit Karls V. geschrieben hat. Also schon damals hießen die großen Männer in Mamer meistens Nik.

Lassen wir unserer Phantasie freien Lauf und malen wir uns Einiges aus dem Mamer der Zukunft aus.

Das weite Wiesental, durch das heute ein Bächlein plaudert und wo die Jäger um diese Zeit Wildenten schießen, ist längst durch ein Häusermeer überschwemmt. Seinem früheren Lauf folgt der Boulevard Nik, an dessen Kreuzung mit dem Boulevard Peter - nach einem andern berühmten Sohne Mamers benannt - sich das Denkmal Franz’ I. hoch zu Rad erhebt. In einer Seitenstraße steht die Wallfahrtskapelle des wundertätigen Mannes von Mamer, der einige Jahrzehnte nach seinem Tod, zur Beschämung seiner Feinde, heiliggesprochen wurde und selbst aus dem Grabe heraus, zu dem die Bresthaften aus weiter Ferne pilgern, noch Wunder wirkt.

Mitten in der Stadt aber erhebt sich, ein wahrer Kunsttempel, das Landes-Schauspielhaus, an dem die hervorragendsten Mimen deutscher, französischer und luxemburger Zunge wirken, - an derselben Stelle, an der die Söhne und Töchter Mamers im Winter 1924-1925 durch die Aufführung von „Aschenputtel“ den Grundstein zum künstlerischen Ruhm ihrer Vaterstadt legten.

Und da wären wir also.

Wer am verflossenen Sonntag ahnungslos die Bahn nach Mamer bestieg, war schon verblüfft über den außergewöhnlichen Zudrang und frug unwillkürlich den Schaffner, wo denn heute zwischen StraßenBartringen und Sterpenich Kirmes sei.

Der Schaffner sah ihn erstaunt an und frug zurück: „Wie, wissen Sie denn nicht? Mamer! Aschenputtel!“

In Mamer entströmte alles dem Zug. Vor allen Cafélokalen hielten schon Automobile, in den Straßen staute sich die Menge. Auf vielen Gesichtern las man freudige Spannung, die meisten aber kündigten bittere Enttäuschung. Das waren alle, die keine Eintrittskarten zu der Vorstellung mehr ergattert hatten. Zu zehn, fünfzig, hundert sah man sie an der Kasse traurig umkehren. Und heute waren die zwei letzten Vorstellungen, eine um halb drei, eine um fünf. An die zwölf Mal hatte „Aschenputtel“ das Haus und damit die beteiligten Vereinskassen gefüllt. Wir ließen uns von Eingeborenen das Stück erzählen. Es war wunderbar. Und die Dekorationen, Verwandlungen, Kostüme - feenhaft. Alles von Mamerer „Jongen a Medercher“ gemacht. Ein Bombenerfolg, der zur Fortsetzung unbedingt herausfordert.

Auf nach Mamer! Sie brauchen keine hundert Jahre zu warten. Sie können schon heute die angenehmsten Stunden dort verbringen. Der Ort ist mit seinen breiten Straßen, schmucken Häusern, einladenden Villen einer der ansehnlichsten der Umgegend, und es kann Ihnen passieren, daß Sie zu vorzüglichem Grächen mit Kochtäse oder Schinken und Zoßiß einem Klavierkonzert von schöner Hand beiwohnen, wie Sie es in solcher Vollendung draußen sicher nicht erwartet hätten.

Das alles muß einmal mit Betonung gesagt werden, weil da schließlich eines der wirksamsten Mittel gegen die Landflucht gefunden scheint.

TAGS
  • Mamer
KatalognummerBW-AK-013-2838