Der geneigte Leser wird sich erinnern, daß hier vor einer Woche starke Zweifel an der Identität eines Porträts geäußert wurden, den die „Luxemburger Illustrierte“ von unserm Landsmann Herrn Tony Kellen gebracht hatte.
Ich interpellierte später den Herausgeber über die vermeintliche Verwechslung und er behauptete, es sei wirklich das Bild des Herrn Tony Kellen gewesen.
Ich verwettete meinen Kopf, daß er im Irrtum sei.
Er sagte, der Einsatz sei ihm zu gering und er schlug statt dessen eine Flasche vor, die der Gewinner auf der Weinkarte des Casino auswählen könnte.
Ich war meiner Sache sicher und griff zu. Ich wußte schon, welche Flasche ich wählen würde.
Da traf mich heute morgen wie ein Blitz aus heiterem Himmel folgender Brief:
Hohenheim bei Stuttgart, den 11. Februar 1925. Mein lieber Kollege!Alles was recht ist! Ich möchte nicht, daß Unschuldige für mich leiden, und deshalb muß ich Dir erklären, daß erftens der Rundfunk an meinem Gesicht unschuldig ist und zweitens die Redaktion der „Luxemburger Illustrierten“ sich nicht vergriffen hat.
Nun gebe ich zwar ohne weiteres zu, daß das Bild nicht sehr schön ist, aber wenn ich auch nicht Dein ehrwürdiges, weißes Patriarchenhaupt habe, so sind in meiner Haarfülle doch schon einige graue Härlein, und schöner wird man mit der Zeit ja auch nicht.
Als ich von der „Luxemburger Illustrierten“ gebeten wurde, ihr mein Bild zu senden, wollte ich mich keines Betruges schuldig machen, indem ich ihr ein früheres Porträt sandte, und so erkundigte ich mich bei den Künstlern unseres Verlags nach dem besten Photographen in Stuttgart. Da erklärten zwei unserer Zeichner mir, sie könnten ebensogut photographieren wie der beste Berufsphotograph und sie rechneten es sich zur Ehre an, mein Antlitz auf die Platte zu bannen. Der jüngere nahm mich zuerst auf mit mächtigen Bibliotheksregalen im Hintergrund, aber auf dem Bilde sah ich aus wie ein Zarenmörder. Nun nahm mich der andere auf, aber auch ihm mißlangen mehrere Aufnahmen. Wir waren im Atelier eines bekannten Malers und Buchillustrators (und zwar desselben, der einen schönen Dicks-Kopf gezeichnet hat). Der wollte mich zeichnen, aber da dachte ich, das würde man mir in Luxemburg als Eitelkeit auslegen, wenn ich mich in einer schönen Zeichnung dem Publikum präsentierte. Also wurde nochmals ein Versuch mit der Kamera gemacht, und diesmal gelang das Vild wenigstens leidlich.
Nun wirst Du fragen: Weshalb hast Du denn ein so „fieses Gesicht“ gemacht, wie die Rheinländer sagen? Das will ich Dir verraten.
Ich hatte in der Nacht vorher geträumt, Du wärest mit anderen Vertretern der liberalen Berufe mit der Neubildung der Regierung beauftragt worden. Bescheiden, wie Du nun einmal bist, lehntest Du dieses ehrenvolle Amt ab, schlugest aber in Deiner Bosheit vor, man möchte mich als einen dem heimischen Parteigetriebe Fernstehenden beauftragen, das Problem zu lösen, 22 Mitglieder der klerikalen Partei nebst 4 Dissidenten, 7 Liberale und Radikale nebst 2 Dissidenten, 6 Sozialisten, 4 Prümparteiler, 2 Volksparteiler und 1 Unabhängigen unter einen Hut zu bringen. Über dieses Problem grübelte ich derart nach, daß ich in einer scheußlichen Stimmung erwachte, und dieser Ausdruck ist noch auf meinem Cesicht zu sehen, das man photographiert hat. Die Sorge habe ich aber längst verscheucht, und jetzt schaue ich wieder drein wie in meinen besten Jahren, und zwar mit meinen blauen Augen, die Du fälschlich als braun bezeichnet hast. Im übrigen aber hast du recht, und deshalb lasse ich mich nächstens nicht mehr von einem Surrogat-Photographen, sondern von einem richtigen Berufsphotographen abnehmen und außerdem meinen Kopf zeichnen. Wenn dann wieder eine „Illustrierte“ kommt, so hat sie nur die Qual der Wahl.
Mit freundlichen Grüßen Dein Tony Kellen.
Also die Flasche ist hin. Aber eine Genugtuung verschafft mir der Brief. Ich hatte beim Anblick des Vildes gleich auf einen Zarenmörder geraten. Tony Kellen bestätigt mir, daß ich nicht so ganz weit von der Wahrheit war. Die Physiognomik muß umlernen.