Original

18. Februar 1925

Es war kurz vor ein Uhr mittags, Ecke Prinzenring und Maria-Theresienavenue.

Ein Auto kam tutend von der Neuen Brücke her. Den Prinzenring herunter kam ein junger Mann auf dem Rad.

Es ist gar nicht ausgeschlossen, daß ihre Gedanken etwa so gingen: Der Chauffeur dachte an das Mittagessen, das auf ihn wartete, der junge Mann an die Tasse Kaffee, die er mit einem Kameraden herausspielen wollte, und die Zigaretten, die er dabei rauchen würde. Das sind, grosso modo, Gedanken, die um diese Tageszeit nichts Befremdendes an sich hätten.

Als der junge Mann die Auto-Huppe hörte, sagte er sich: Mir kann keiner ..... ich fahre hier vorschriftsmäßig rechts, wenn er auch rechts fährt, wie er soll und muß, kommen wir glatt aneinander vorbei.

Der Chauffeur sagte sich: Die Straßen sind glitschig, nehme ich die Kurve den Prinzenring hinauf scharf, so kann es sein, ich schlittere auf der Hinterhand und renne aufs Trottoir. Also nehmen wir die Kurve hübsch in weitem Schwung.

Indem er aber die Kurve in besagtem weitem Schwung nahm, kam er auf die linke Seite des Prinzenrings und sah sich plötzlich dem jungen Mann auf dem Rad gegenüber, der von sich aus vorschriftsmäßig rechts fuhr.

Was hätten Sie da getan? Sie hätten gesucht, vorschriftsmäßig rechts auszuweichen. Erstens, weil Sie nach dem Reglement rechts ausweichen müssen, zweitens, weil die Weisheit der Völker erklärt, es sei nie zu spät, das Rechte zu tun, und drittens, weil Sie dem Instinkt gefolgt wären, der Sie unwillkürlich nach rechts geworfen hätte.

Der Chauffeur tat genau, was Sie auch getan hätten. Er warf seinen Wagen nach rechts, um an dem Radler vorbeizukommen.

Er hatte leider nicht mit dem Instinkt und dem Selbsterhaltungstrieb des Radlers gerechnet. Als dieser sich so plötzlich dem Auto gegenübersah, blitzte in ihm der Gedanke auf: Lieber links vorbeifahren und mit heiler Haut davon kommen, als dem Reglement zulieb auf der rechten Straßenseite unter die Räder geraten.

Und so warf der Radler sein Rad links im selben Augenblick, wo der Chauffeur gegenüber seinen Wagen rechts warf, und vor der Tür des Hauses Risch prallten sie unweigerlich zusammen.

Wenn ein Rad und ein Auto zusammenprallen, so kommt nach dem brutalen Majoritätsprinzip das Rad am schlechtesten weg.

Der junge Mann wurde mit blutendem Fuß auf einen Stuhl gesetzt und es sammelte sich rasch eine Anzahl Neugieriger. Eine junge Dame schickte nach einem Arzt und ein alter Herr nach der Polizei, aber ich konnte nicht bemerken, daß sich einer der Neugierigen von dem interessanten Schauspiel gelöst hätte, um nach Arzt oder Polizei zu lausen.

Inzwischen wandte sich der unglückliche Chauffeur von einem zum andern, um zu erklären, wie es gekommen war, er habe ja doch nur ausweichen wollen - niemand hörte ihm zu. Alle gaben dem Verletzten recht, der die Faust nach dem Chauffeur schüttelte und versicherte, wenn er auf den Füßen stehen könnte, so würde er ihm schon deutlich machen, was er ihm zu sagen habe.

Lieber Leser, Du denkst in Deiner Harmlosigkeit, ein Auto-Unfall sei eine einfache Sache. Ein Auto kommt von unten, ein Rad von oben, beide prallen zusammen, abgemacht Seese!

So einfach ist es wirklich nicht.

In dem Augenblick, wo Chauffeur und Radler einer des andern ansichtig wurden, war dem Reglement nach der Radler in seinem Recht, der Chauffeur in seinem Unrecht.

In dem Augenblick, wo sie zusammenstießen, war der Chauffeur, dem Reglement nach, in seinem Recht, der Radler in seinem Unrecht. Welcher Augenblick gibt den Ausschlag?

Offenbar der erste. Als der Chauffeur im Unrecht war, war er es durch seine Schuld, als der Radler im Unrecht war, war er es durch das Unrecht des andern.

Aber so einsach sind Recht und Unrecht nicht, wenn sie den Fachleuten unter die Hände fallen.

Ich hielte folgende Lösung für die klügste: Chauffeur und Radler sagen: Keiner von uns hat dem andern Übles gewollt, die Assekuranz bezahlt, warum sollen wir uns streiten, als wären wir zwei feindliche Kammerkandidaten! Und so kann es sein, daß beide die dicksten Freunde werden.

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