Original

22. Februar 1925

Im Freundeskreis erzählten ein paar Herren, wie sie kürzlich zu vorgerückter Stunde, der freien Nacht halber, einen Ball aufsuchten, und wie sie sich daran verekelten, daß eine Anzahl der jungen Lebemänner paarweise unter sich tanzten. Inzwischen hätten allerhand hübsche appetitliche junge Mädchen unbeschäftigt im Saal gesessen und traurig in das Tanzgeschiebe geblickt, von dem sie ausgeschlossen waren, weil kein Tänzer sie aufgefordert hatte.

„Und sogar geküßt haben sich die Ferkel!“ ärgerte sich einer der Herren rot und blau. „Ich wäre am liebsten hin und hätte ihnen links und rechts eine heruntergehauen, aber ich wollte den Ball nicht stören.“

Auch andere hatten gesehen, wie sich die jungen Herren gegenseitig Küsse in die Schweißgesichter gedrückt hatten.

Es kommt oft vor - und niemand nimmt daran Anstoß - daß zwei junge Mädchen zusammen tanzen. Sie tun es nur, wenn sie sitzen gelassen wurden. Sie tun es aus begreislicher Freude am Tanz, und der Anblick zweier hübschen jungen Damen, die umschlungen zu den Klängen eines Step sich wiegen, hat nichts Abstoßendes. Man denkt sich die eine davon gar nicht als Mann. Da liegt der Unterschied. Zwei junge Mädchen, die zusammen tanzen, sind uns eben zwei junge Mädchen. Tanzen aber zwei junge Männer zusammen, so gleitet der eine davon unweigerlich in die Frauenrolle und wirkt dadurch abstoßend. Er wirkt abstoßend, ob er durch zimperliches Getue der Frauenrolle gerecht werden will oder ob er sich klobig gibt, um gegen die Verwechslung der Geschlechter zu protestieren.

Der Anblick eines tanzenden Herrenpaares fordert schon deshalb unsern instinktiven Abscheu heraus, weil wir darin einen Schimpf auf den Adel der Männerfreundschaft erblicken. Im Verhältnis von Mann zu Mann kann Größeres beschlossen liegen, als je im Verhältnis von Mann zu Weib. Aber in jenem Verhältnis darf dann eben nicht dasjenige von Mann zu Weib parodiert sein.

Ich erinnere mich des fremdartigen, unbehaglichen Eindrucks, den es in meinen Knabenjahren auf mich machte, als ich zwei befreundete Künstler, die sich nach langer Zeit wiedersahen, sich auf offener Straße umarmen und küssen sah. Als ich später Einblick in ihr Freundschaftsverhältnis bekam und die Überzeugung gewann, daß jeder für den andern zum Höchsten bereit wäre, störte mich die Erinnerung an die Umarmung nicht mehr.

In den ersten Tagen nach den Schlachten um Longwy sah man vor der Bahnunterführung von Ethe, da, wo die französische Batterie im Nebel durch deutsches Maschinengewehrfeuer’ überrascht und zusammenkartätscht worden war, auf einer Geschützlafette zwei französische Offiziere liegen, die sich im Tod umarmt und in der Umarmung von Kugeln durchbohrt worden waren.

Zur Zeit des Hainbundes hatten die Dichter um die Brüder Stolberg Tränen und Küsse als Siegel ewiger Freundschaft immer bereit.

André Gide spricht in seinem Corydon von Männerbeziehungen, die ihm als Wahrzeichen höchster Blüte bei allen Völkern aller Zeiten gelten.

Die Herrenpaare, die auf jenem Ball tanzend sich küßten, gehören wohl in eine andere Rubrik.

Einer der Augenzeugen erzählte zornfunkelnden Blicks, daß in Paris im Ball Bullier eines Abends eine Sorte von Epheben, die in Frauenkleidung erschienen waren, verprügelt und an die Luft gesetzt worden waren.

Es wäre nicht ausgeschlossen, daß im Lauf dieses Karnevals jenen jungen Herrchen, die trotz dem bekannten Sprichwort mit Brot auf Brot eine „Schmier“ machen möchten, dasselbe Schicksal blühte.

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