Original

26. Februar 1925

Ich habe eine kleine Freundin. Sie ist zirka drei Jahre alt und wird vorläusig noch bei dem Gattungsnamen Könny genannt.

Könny hat in ihrem Kindersinn den Großen der Erde eine Lehre erteilt. Hätten seit Anbeginn der Welt alle Machthaber auf allen Stufen die Lehre Könny’s befolgt, die Welt wäre ohne allerhand Greueltaten glücklicher geworden.

Könny und ich hatten uns drei, vier Tage lang leidlich vertragen. Seine Mama versicherte mir, das sei schon alles Mögliche. Ich hatte bald weg, daß Könny am liebsten alle ihre Sätze mit nein anfing. (Sache ihres Mannes wird es später sein, alle Fragen und Anreden so zu setzen, daß nein die richtige Antwort darauf ergeben wird.) Als ich mir zur Gewohnheit machte, Könny beharrlich Jungfer Nein zu titulieren, wurde sie stutzig und unterbreitete den Fall ihrer Mama. Von da an sah sie mich zuweilen aufmerksamer an und suchte stillschweigend mein Inneres zu ergründen und mit mir ins Reine zu kommen.

So standen wir zu einander, als ich Abschied nahm. Könny spielte trotz der empfindlichen Morgenkühle schon weit hinten im Garten Hausmütterchen mit ihren Puppen und ihren Haustieren. Wenn Könny Hausmütterchen spielt, ist das eine sehr ernste Sache. Ernster, als für manche erwachsene Hausfrau die bittre Wirklichkeit. Denn sie tut nichts halb.

Als ich den Wunsch zu erkennen gab, meiner kleinen Freundin Adieu zu sagen und den Weg durch den Garten einschlug, wollte mir die freundliche Schaffnerin Anna die Sache erleichtern und lief vorauf, die Könny mir zuzuführen.

Nun stellen Sie sich bitte eine Hausfrau vor, die mitten im - sagen wir mal österlichen Großreinemachen - alles im Stich lassen soll, um irgend jemand Komplimente zu machen!

Nein, das gibt’s nicht. Könny hatte keine Zeit, absolut keine Zeit. Sie war grade am Kaffeetrinken mit ihren Puppen, dann mußte in Haus und Stall nach dem Rechten gesehen werden - nein nein, ausgeschlossen! Unabkömmlich!

Ich sah die Katastrophe kommen. Schon krümmteund wand sich Könny unter Anna’s eisernem Griff, ihre Augen standen dick voll Wasser, mit zornbebendem Mündchen rief sie mir zu: „Ich habe dich gar nicht lieb!“

Was war zu tun! Ich versuchte es, ihr die Hand entgegen zu strecken und mit aller Treuherzigkeit, deren ich fähig war, zu versichern, ich wolle sie ganz und gar nicht stören, nur adieu sagen - sie stampfte zornig auf und sagte nein, nein und nein!

Als ich fünf Minuten später vor dem Haus mit den Freunden den letzten Händedruck tauschte, kam Könny, strahlend vor Liebenswürdigkeit, um die Ecke auf mich zu, streckte mir die Ärmchen entgegen, ließ sich jauchzend zum Abschied herzen und war zum fressen von Kopf bis zu Füßen.

Das war die große Lehre, die meine kleine Freundin Könny allen Machthabern der Welt erteilte. Wie oft schon hat ein Machthaber Anna und ein Volk Könny geheißen! Und wie gern hätten die Völker in Freiheit oft das Rechte getan, wenn die Machthaber sie nicht dazu hätten peitschen wollen!

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