Unser luxemburgischer Bienenvater Herr Ehrenprofessor Kunnen macht mir das Vergnügen und die Ehre, mir die diesjährige Weihnachtsnummer der weit verbreiteten Gazette Apicole zuzuschicken, die Herr Edmond Alphandéry in Montfavet (Vaucluse) gegründet und unter seiner Leitung zu hoher Blüte gebracht hat.
Die Richtung, in der sich diese Zeitschrift entwickelt hat, ist einer der besten Beweise dafür, daß sich die Imker aus intellektuellen Kreisen rekrutieren, die für alles Geistigė und Transzendente Sinn haben. Sonst siele es dem Gründer und Leiter der Gazette Apicole nicht ein, die hervorragendsten Persönlichkeiten der französischen Schriftstellerwelt um Beiträge für seine Spezialnummern anzugehen, und es fiele hauptsächlich diesen Prinzen der Feder nicht ein, Herrn Alphandéry’s Aufforderung Folge zu leisten und ihm jeweilig das Geistreichste, Dichterischste, Unterhaltendste, Tiefsinnigste zu schicken, was man über Bienen überhaupt schreiben kann.
Es wird und wurde jeweils viel Schöngeistiges über sie geschrieben. Eigentlich könnte man sich darüber wundern. Die Ameise, die sich als staatliches Organisationstalent wahrhaft neben der Biene sehen lassen kann, hat nie ihren Virgil, ihren Maeterlinck, ihren Waldemar Bonsels, höchstens ihren Pater Wasmann gefunden. Utilitaristische Erwägungen können es auch nicht sein, die der Biene in der Poesie Bürgerrecht verschafft haben. Denn die Zuckerrübe tut soviel für die Versüßung unseres Daseins, das Huhn sicher mindestens soviel für die Volksernährung, wie die Biene. Und wann hat einer das Huhn oder die Zuckerrübe angedichtet?
Ihre dichterische Qualifikation erhält die Biene ausschließlich von den Blumen und Blüten. Ihr Gesumme hat an und für sich nicht die Spur eines poetischen Geräusches. Halten Sie bitte das Bienensummen neben das Schluchzen der Nachtigall, so wird Ihnen der Abstand klar. Aber das Bienengesumm ist eine Funktion des Frühlings und Sommers, wenn sie am herrlichsten sind, ja, man möchte sagen, eine Funktion der Sonne. Dieser leise, sanfte, sozusagen losmische Ton nimmt sich aus, als sei er die geheimnisrolle Stimme der Sonnenstrahlen. Wenn Sonntags zur Zeit der Kirschblüte das weiße Wunder vor meinem Fenster brummt, wie eine ferne gedämpfte Orgel, fließt mein Leben über in das Leben der Unendlichkeit in Naum und Zeit. Und doch sind es nur die paar Tausend Bienen, die im Torkeln von Blütenkelch zu Blütenkelch dem prosaischen Instinkt der Selbsterhaltung folgen. Aber sie könnten mir antworten: „Für wen sind denn die Blüten und Blumen so farbig und so wunderschön von Gestalt? Nicht, damit Euer Auge sich daran freut! Bildet Euch nur nicht ein, daß die Natur derart Rücksicht nimmt auf Eure ästhetischen Bedürfnisse. Nein, die Blumen sind unsertwegen da, damit wir auf den ersten Blick sehen, wo was für Speicher und Kelier für uns zu holen ist.“
Die Bienen wissen, was sie wollen. Sie lassen nicht mit sich spassen, und eigentlich haben sie recht, sonst käme von ihrem Honig nicht viel bis auf uns. Die Evolution hätte ganz sicher dazu geführt, daß Bienen, denen man den Stachel genommen hätte, auch keinen Honig mehr fabriziert hätten. Wozu der Besitz, wenn man ihn nicht verteidigen kann? Da lebt man lieber auf Kosten der Allgemeinheit.
Von den Schriftstellern, die in der Weihnachtsnummer der Gazette Apicole zu Wort kommen, ent- schuldigen sich einige damit, daß sie von Imkerei nicht verstehen und sich für Bienen nur sub specie Honig interessieren.
Sie haben unrecht. Auch ohne von Bienenzucht etwas zu verstehen, kann man im Schöpfungsplan zu den Bienen Stellung nehmen. Die erste Biene, mit der ich Fühlung gewann, war auf mich von nachhaltigen sittlichen Einfluß. Ich erinnere mich des Vorfalls und der Empfindungen und Gedanken, die er bei mir auslöste, noch sehr genau, obgleich darüber ein Menschenalter dahingegangen ist.
Ich war über den Bach gesprungen, weil drüben in einer Hecke prachtvolle dunkelviolette Winden standen. Ich pflückte die schönste davon und wollte versuchen wie sie roch. Im selben Augenblick stach es mich feindselig, grausam und empfindlich in die Nasenspitze, daß ich aufheulend die Blume fortwarf. Ich sah sie auf den Bachwellen dahintanzen. Es war mir sofort klar: Der Bienenstich war eine Strafe dafür, daß ich statt den Wassereimer vom Brunnen rasch heimzutragen, über den Bach nach einer Blume gesprungen war. Die Arbeit geht vor dem Vergnügen. Das Nützliche ist mehr wert, als das Schöne, usw. usw.
Dann kam die Reaktion. Was hatte ich schließlich verbrochen? Stand die Strafe nicht in schreiendem Mißverhältnis zur Verfehlung? Und aus der Reaktion wuchs der Trotz.
Ein Hauptgewinn aber war der: Ich lernte, mir soll jeder Blume in den Kelch sehen, ehe man daran zu riechen versucht.