Original

28. Februar 1925

Jeder Wahlkampf ist ein Wahlkrampf. Die Menschheit eines Gemeinwesens krampft sich zusammen im Kampf um mehr Glück, mehr Gerechtigkeit.

Wer nicht im Kampf und im Krampf aktiv drinsteht, geht hinaus auf die alten Schlachtfelder, auf denen vor Jahrhunderten die Zeiten vom Hefeteig der menschlichen Glückssehnsüchte gärten, und horcht, was die Vergangenheit rauscht.

Feudalsystem und Fron mit Zehntem und Naun sind nicht überall so tot, wie sie gesagt werden, denn im Verhältnis der Kräfte zueinander ändert sich nichts. Aber die Burgen sind gebrochen, die Symbole zerstört, der alte Geist ist durch weit geöffnete Fenster hinausgelüstet. Auf unsern heimischen Bergesgipfeln ragen nur noch die Mauerstümpfe der Schlösser, bei denen unsere Urgroßväter im Robott standen und durch alle Wahlmanifeste schmettern die Fanfaren der Freiheit.

Aber es gibt Gegenden, wo jene Zeit nicht kurzerhand umgebracht wurde, wo sie noch unterm offenen Himmel im Todeskrampf zu liegen scheint, an diesem und jenem Glied verwest und vermodert, aber mit einem Widerschein von Leben noch im Blick. Man geht durch Dörfer, wo Jahrhunderte alte Gerichtskreuze ragen, wo inmitten der hellgetünchten Bauernhäuser noch grau und massig der Herrensitz steht, wo der Geist der Leibeigenschaft noch durch den Instinkt der alten Bauern zuckt. Es mag sein, daß der Eindruck irreführt. Aber er ist da und verstärkt sich an hundert kleinen Zeichen, unbeholfenen Rückständigkeiten, unterwürfigem Mißtrauen usw. usw.

Dicht an unsern Grenzen tut sich eine solche Gegend auf und die Wenigsten von uns wissen darum mehr, als was ihnen ein paar Ortsnamen sagen.

Zieh ein Dreieck: Remich-Bettemburg-Diedenhofen, wähle Bad Mondorf als Sprungbrett und tauche unter in das Bad von Geschichte, das um Dich seine Tiefen breitet. Ich nenne Dir Püttlingen, Rodemachern, Preisch, Usselskirch, Burg-Rüttgen, Sierck, Schloß Meinsberg - um ein Kleines außerhalb des Dreiecks - und die Schlössersaat um Remich.

Burg-Rüttgen (nach Schloß, Preisch) ist als Dorf und Schloß ein Traum aus Stein, der abseits vom Verkehr zwischen zwei Heerstraßen liegt und sich einsam selber weiter träumt. Eine Kette von Visionen, die sich in Deiner Erinnerung als seltsame Grisaille aufreihen. Ein Wort faßt alles: Mauern. Zwischen haushohen Einfriedigungsmauern fährst Du ins Dorf, vor haushohen Hofmauern siehst Du, drückst auf die Klinke einer Pforte, blickst in einen weitläufigen Hof und Garten, im Hintergrund eine mächtige, einfache Schloßfront mit vorhanglosen blinden Fenstern, rechts und links das Viereck durch Betriebsgebäude abgeschlossen, in denen die geschäftige Unordnung eines altmodischen bäuerlichen Durcheinanders Gegenwart markiert, Burg-Rüttgen hat zwei Schlösser, die auf einem Vorsprung über das Tal des Boler-Baches dicht aneinander gebaut sind. Bei dem einen war in Haus und Hof keine Menschenseele, die sich rührte, an dem andern war das Tor verriegelt, ein Hund lag drinnen an der Kette und bellte wütend. Das war alles, was wir von dem Stammsitz der Familie de LuxembourgLigny-St. Pol und dem nachmaligen Elternhaus der Grasen de Custine zu sehen bekamen.

Ein Bauer hat das Panze vor 10-15 Jahren für 6000 Mark gekauft.

Und eine alte Bäuerin sitzt zirka 15 Kilometer Luftlinie westwärts, drüb der Mosel, auf einem andern alten Rittersitz, den der große Marlborough berühmt gemacht hat. Du fährst von Mondorf über Sierck auf Mandern zu und bei einer Wegebiegung liegt plötzlich vor Dir, hoch und scharf gegen den Himmel silhouettiert, wie ein Traumgesicht aus der Zeit des Don Quixote, der viereckige Steinkasten Schloß Meinsberg, im Volksmund „Malbrucksschlaß“. Arnold von Sierck hatte sich 1419-1434 mit Hilfe des Teusels dies Schloß erbaut, 1707 hatte es der Herzog von Marlborough bezogen, um abzuwarten, ob ihn der französische General Vilmar von Königsmachern her angreifen würde - beide zogen rebus infectis ab, Marlborough nicht ohne vorher sein Kriegsmaterial an die Bauern der Umgegend verhökert zu haben. Noch heute heißen hierzuland besonders schwere Wagen „Malbruckswon“. Und heute haust droben eine sechzigjährige Bauernwitwe mit Knecht und Magd und tut Buße für die Schlemmereien des Herrn Arnold von Sierck.

Nirgends hast Du so allumfassend das Gefühl, aus der Welt herausgeraten zu sein, wie in diesem Teil Lothringens, dessen Bewohner vor lauter wechselnden Herren nicht mehr wissen, zu wem sie schwören sollen und als oberste Heimat darum nur noch die Scholle erkennen.

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