Ein Korrespondent aus Remich meldet, daß zwei große Dampfer aus Koblenz mehrere Eisenschiffe nach Palzem gebracht haben, wo sie mit Dolomitsteinen befrachtet werden, und er erinnert an die früheren Zeiten des Steinbruchbetriebes in Remich.
Wer die Mosel entlang von Remich bis unterhalb Stadtbredimus wandert oder fährt, sieht überall die frischen Wunden oder verharschten Narben, die Pickel und Pulver in die Uferflanken gerissen haben. Stellenweise leuchten sie noch roh, unharmonisch aus dem Grün und Braun und Grau des Bodens vor, stellenweise hat schon die Natur, die Farbenmißklänge nicht duldet, ihr Werk getan und die wunden Flächen zu ihrer Umgebung abgestimmt. Das ist beispielsweise der Fall mit der sogenannten „Fels“ unterhalb Stadtbredimus, an deren Fuß das Beste wächst, was unsere Mosel neben der Wormeldinger Köppchen aufzuweisen hat. Moos überzieht die Bruchflächen des Gesteins mit einer braungrünen Haut, Buschwerk wuchert, Käuzchen und wilde Tauben nisten in der steilen Wildnis - das ist schon wieder weit ab von der Mißfarbe der neuen Steinbrüche. Weiter oben, an den Caves St. Martin. sind die Wunden hüben und drüben noch jünger, und es wird ein halbes Jahrhundert brauchen, bis sie sich wieder farbenschön tapezieren, um gegen Acker und Wald und Weinberg nicht griesgrämig abzustechen.
Der Steinbruch - das war früher etwas wie ein lebendiger, sagenhafter Mensch, eine Art Rübezahl. Wer ihm diente, brachte Geld heim, aber er mußte schaffen, daß die Knochen knackten. Wir kannten sie alle, die in die Arbeit Verbissenen, deren schwerer Schritt morgens vor Tau und Tag durch die Dorfstraße klang. Sie gingen „ob de Broch schaffen“. Sie entrissen den Flanken der Erde die grauen und blauen Steine, aus denen weit drunten am Rhein irgendwo Kalk gebrannt wurde. Sie ächzten, wenn sie den schweren Pickel in einen Spalt trieben, wenn sie die unbeholfenen scharfkantigen Blöcke in den Schubkarren heben, wenn sie im Sonnenbrand auf einer Steinbank standen und das Eisen geduldig in das Sprengloch stießen - oder wenn sie über ein schwankes, schmales Brett den vollen Karren hinüber an das Schiff schoben und seinen Inhalt polternd in den weiten Bauch leerten. Noch heute erzählen sie sich lachend, wie damals der Mätt mit seiner Last auf dem Steg umkippte und kopfüber ins Wasser flog. Was andern eine Katastrophe dünkte, kam ihnen wie ein humoristisches Intermezzo gelegen.
Den alten Steinbrechern nenne ich zwei Namen, bei denen es in ihren Gesichtern vor Erinnerung aufleuchten wird: „Greiveldengesch Scharel“ und „Gappmätty“. Der Herr Scharel war Jahre lang der Steinbruchpächter, der schönste Mann moselauf moselab, mit einem schwarzen St. Petrusbart, der kaum graumeliert war, als sein Träger im Alter von rund neunzig das Zeitliche segnete, einer Stimme, die aus der breiten Brust kam, wie aus einer hohlen Tonne, und einem unverwüstlichen Gleichmut, samt dem dazu gehörigen Durst und Appetit, natürlich. Der andere, der „Gappmätty“, war aus Wellenstein - „e Welischter“ in Reinkultur. Sie erzählten von ihm, er singe das Dies irae in der Kirche mit folgender Aussprache: Diae i-ae i-ae i-a. Zimperlichkeit war nicht sein Fall. Die rauhe Rede, wie sie im Hof Remich zuhaus ist, kam aus seinem Munde ungedämpft, breit, laut und hoch. Er war grob und gemütlich und populär.
Im Umgang mit Steinen wird niemand zartbesaitet. Das gilt noch heute von den Steinmetzen, und das galt damals bis hinunter zu den „Hallefen“, Die Hallefen (Gehilfen) waren die Fuhrleute aus der Gegend von Wasserliesch, die mit ihren Pferden die leeren Kalkschiffe bis Stadtbredimus und Remich die Mosel herauftrekkten. Wenn so ein Schiff kam, war es ein Ereignis. Wir liefen zusammen und bekamen eine Hühnerhaut nach der andern von den unmenschlichen Fluch-Orgien der Hallefen; sie hockten seitlich auf ihren Gäulen, die bis an den Bauch in den Strängen lagen, und schwangen, heulend wie Derwische, ihre kurzen Peitschen im Kreis um die Köpfe. Der Durst aber auch hinterher!
Heute sitzen die alten Hallefen mit dem Gappmätty und dem Greiveldengesch Scharel da droben im Gaststübel „Zur Abendwolke“ zusammen und rauchen Draht aus einem kurzen Kloben und trinken 21er dazu und erzählen von der schonen alten Zeit, wo noch keine Dampfschiffe die Mosel heraufkamen.