Grimberger meldet sich wieder zum Wort.
„Ich merke schon, die neue Kammer hat den Kopf voller Pläne, die sie für Gott weiß wie wichtig hält. Eisenbahnen, Finanzklausel, usw. Das Land für ein Menschenalter, für zwei Menschenalter festgelegt usw. Aber: Quid hoc ad acternitatem! Es gibt Reformen, die nötig sind, um unsere ganze menschliche Essenz zu veredeln, die Grundlagen unseres Seins zu festigen und zu klären. Ich nenne Ihnen eine: In unserm Unterrichtswesen muß die Buchhaltung eingeführt werden.
Warten Sie einen Moment, ehe Sie die dumme Bemerkung machen, die Sie auf der Zunge haben.
Ich denke natürlich nicht an die kaufmännische Buchsührung, sondern an eine Lebensbuchführung, die uns jederzeit über unser inneres Erleben denselben Überblick ermöglicht, wie die andere über unsere Geschäfts- und Vermögenslage. Sie werden gleich verstehen.
Wir schreiben heute jeden Heller ein, den wir ausgeben oder einnehmen. Materiell liegt jede Seite von Soll und Haben klar vor uns. Seelisch ist unser Vermögensbestand ein Chaos, ein voller Papierkorb. Jeder kann nach Tag und Stunde sagen, wann er das erste große Geschäft gemacht hat, das ihm 127 337.75½ Franken eingebracht hat. Jeder Beamte weiß, wann eine Gehaltszulage fällig wird, wann ihm die Mitgift seiner Frau ausbezahlt wurde, wann er seine Kinder in eine Versicherung eingekauft hat, wieviel er von seinem Monatgehalt in Vier und Zigarren anlegen darf. Aber er weiß nicht, wann in seinem Leben eine innere Bereicherung oder Verarmung eingetreten ist. Weißt du noch, wann es war - ob im Winter oder Sommer, bei Regen, Schnee oder Sonnenschein, als dir klar wurde, daß du an ein Großes nicht mehr glaubtest, an das du bisher geglaubt hattest? Solche Verluste überfallen einen grade, wie Geldverluste. Auf einmal, an einer Straßenecke, an einer bestimmten Stelle im Wald, auf dem Fluß, in einem Zimmer, in einer ganz bestimmten Sekunde weißt du: Jetzt glaube ich nicht mehr an das Christkindchen, an die Hölle, an den Herrgott der Schuster-Bibel, an die Liebe, an die Freundschaft, an diesen oder jenen Menschen. Das überfällt dich, wie ein Börsentelegramm, das dir mitteilt, daß du bei den Dummen warst.
Und weißt du noch, wann du innerlich einen bestimmten Menschen deiner Umgebung überwandest, wann dir klar wude, daß sein Einfluß auf dich aufhörte, weil du ihn durch und durch erkannt hattest? Ist das nicht ein großes Stück der Weisheit des Alterns, daß man zu den andern in das richtige Verhältnis der Kräfte rückt, und daß man sich darüber genaue Rechenschaft gibt? Wie Blasen aus der Tiefe steigen wir von den Gründen des Lebens auf und platzen an der Oberfläche, wo sich unser Inhalt wieder ins All auflöst. Die einen haben starken, die andern schwachen Austrieb. Du steigst an vielen Blasen vorbei, die lange über dir waren, siehst andere an dir vorbei in die Höhe steigen, es ist ein ewiger Wechsel des Auftriebs, du erlebst ihn mit Lust oder Unlust und vergissest nach Tagen und Jahren, was er dir bedeutete.
Mache dir klar, was du mit zehn, zwanzig, dreißig Jahren warst, erinnere dich bestimmter Negungen, mit denen du in jedem Lebensabschnitt Menschen und Dingen gegenüber standest, und vergleiche sie mit deinem heutigen Ich. Und dann stelle dir einen Augenblick vor, du könntest über all dies grundverschiedene Verhalten deiner Seele zur Welt ein Hauptbuch aufschlagen, das Hauptbuch deines Lebens, in dem du dich selbst Tag um Tag, Jahr um Jahr gebucht hättest.
Was du damit anfangen würdest?
Du mußt selber wissen, ob es grade gut genug wäre zum Verbrennen oder ob du es deinen Kindern schenken solltest, damit sie auf deiner Schlußrechnung das Büdget ihres Lebens aufbauen könnten.“