Original

14. März 1925

Die hier angeschlagenen Erinnerungen - man schlägt Erinnerungen an, wie Glocken - an ein Schulerkonzert im Athenäum vor zirka fünfzig Jahren trugen mir einige weitere Programme derselben Art ein, eines aus dem Jahr 1866, das andere von 1875.

Am 5. Februar 1875 trug der Tertianer Aug. Ulveling ein Gedicht des Primaners Wilhelm Capus vor: Die Sage vom Schloßbrunnen zu Fels. Wenn ich mich gut erinnere, spielte darin ein Herr von Heringen eine scheußliche Rolle. Guilly Capus ist trotzdem nicht Dichter, sondern Forschungsreisender und Naturwissenschastler geworden, und ist noch heute der große, schlanke, gemütliche, herzensgute luxemburger Junge, der er draußen immer geblieben war, im Quartier Latin wie auf den eisigen Höhen des Pamir, des Daches der Welt.

Ein anderer Gelegenheitsdichter war der Primaner Joh. Bapt. Fallize, der 1866 auf deutsch und auf französisch das Schloß Vianden, die Stammburg der Oranier, besang. Es entbehrt nicht der Pikanterie, daß das französische Gedicht von einem andern Primaner namens Arthur Feyden vorgetragen wurde. Das Leben hat die Beiden später nicht nur räumlich weit auseinander geführt.

Unter den Vortragskünstlern dieser zwei Konzerte waren auch der Tertianer Leon Rischard, der Präparatorianer Franz Mersch, der Quintaner Adolf Fischer (1875), der Tertianer M. Follmann und der Quartaner Aug. Liger (1866).

Die Herren Charles Larue und Charles Dumont, die noch unter uns auf des Lebens Höhen wandeln, wird es freuen, daran erinnert zu werden, daß sie am 5. Februar 1875 auf jenem Schülerkonzert die Fantaisie brillante pour violon et piano von de Bériot vorgetragen haben. Neun Jahre vorher waren Fritz Ziller und Jul. Vesque als Pianist und Vlolinist aufgetreten.

Haben triftige Gründe bestanden, diese Schülerkonzerte fallen zu lassen? Man war anscheinend gewohnt, sie als Veranstaltungen zu Ehren des Statthalterpaares anzusehen und ließ sie eingehen, als Prinz Heinrich gestorben war. Man hatte Unrecht.

Unser Hauptbildungsherd ist noch immer das Athenäum. Es steht sogar, wenn ich so sagen darf, mit einem Bein auf dem Bildungsacker der Alma Mater. Die Bildung fürs Leben besteht aber nicht nur aus den Faktoren, deren Einverleibung dem jungen Mann beim Maturum ziffernmäßig bescheinigt wird, sie besteht auch in einer Art schöngeistiger Auswirkung der Schwingungen, in die während der Jahre zwischen zwölf und zwanzig unsere seelischen Kräste in den Räumen des alten Jesuitenheims versetzt wurden.

Die Sekunda hieß zu unserer Zeit noch Poésie, die Prima Rhétorique. Auf Sekunda mußte jeder wenigstens ein Gedicht gemacht haben. Der Brauch hatte sein Gutes, wäre es auch nur das gewesen, daß sich Freundschaften fürs Leben schlossen, wenn ein mehr dichterisch veranlagter Sekundaner seinem amusischen Banknachbarn mit der gereimten Beschreibung eines Sonnenuntergangs unter die Arme griff.

Der Zweck der Übung war selbstverständlich nicht, in möglichst viel jungen Leuten den Leu der Poesie zu wecken und sie von zukunftssichern bürgerlichen Berufen weg auf die blühende Heide der Dichterei zu locken, auf der schon damals keine Brotbäume und nur kümmerliche Lorbeerbüsche wuchsen, sondern es galt dem Sport, der damals im Schwang war, und den man geistige Gymnastik nannte. Es ist bis jetzt nicht erwiesen, daß die Luxemburger, die durch jene Schule gegangen sind, lebensuntüchtiger wurden, als die späteren, bei denen mehr der Muskel, als das Gehirn Trumpf waren.

Die Wahrheit wird, wie überall, in der Mitte liegen. Aber man darf wirklich neugierig sein, was dabei herauskäme, wenn der Herr Athenäumsdirektor wieder einmal einen literarischen und musikalischen Abend mit seinen Schülern veranstalten wollte.

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