Ein entrüsteter Korrespondent schreibt uns:
„Geht mal hinaus zum Glacis, Rondpoint. Dort könnt Ihr sehen, was ein Wahl-Fastnachts-Aschermittwochskater von der allergefährlichsten Art fertig bringen kann.
„Männer mit Axt, Säge und Spaten morden mit Herzenslust die schöne Baumallee am Boulevard de la Fcire, Nondpoint bis Kapelle (Glacis).
„Wer hat diesen Ukas erlassen? - Der oberste dieser Bäume am Oktroihäuschen steht noch. - Darum her mit diesem Ukaserlasser, knüpft ihn auf an diesem Baum und laßt ihn dort hängen, solange die Spuren seines Vandalismus nicht verwischt sind. -
„Was unsere Vorgänger zur Schönheit dieses Stadtteils in langen Jahren vollbracht haben, fällt einem Unverantwortlichen zum Opfer. - Ein Teil der Schefferallee soll nur mit knapper Not demselben Schicksal entgangen sein!“
Ich gehe lieber nicht hinaus. Ich habe nie Verlangen darnach getragen, einer Hinrichtung beizuwohnen, zumal wenn der Delinquent unschuldig war.
Die Todesstrafe ist hierzuland für Menschen abgeschafst. Für Bäume besteht sie noch. Irgendwo sitzt ein geheimes Tribunal, eine schwarze Vehme über die Bäume zu Gericht. Es wird kurzer Prozeß mit ihnen gemacht. Ein Nachbar beklagt sich über den Schatten, den sie ihm in sein Zimmer werfen - sagt er -, irgend ein Grimberger nörgelt wegen Störung der Aussicht, oder ein Straßenwärter meint, wenn die Bäume nicht mehr da wären, bliebe die Straße trockener usw. Eine Denunziation dieser Art genügt, damit die Vehme ihr Todesurteil spricht. Und eines Morgens ist an jedem Verurteilten ein tellergroßes Stück Rinde weggeschält und auf die helle Fläche eine Nummer aufgemalt. Das ist das Todesurteil.
Man hat in der letzten Zeit den Eindruck gewonnen, daß an zuständiger Stelle das Baumfällen als Mode- sache behandelt wird, wie der Bubikopf. „Ça ne se porto plus!“ Es ist wie die Taktik eines Mannes mit Glatze, der es geschmacklos findet, wenn andere sich den Luxus eines Künstlerkopfes gönnen.
Ratürlich soll man nicht als alleinseligmachendes Euangelion verkünden, daß nirgends ein Baum gefällt werden darf, der einer Straße, einem Platz, einem Garten zur Zier geflanzt wurde. Es gibt eine Gartenkunst, nach der auch einmal Bäume gefällt, Lichtungen und Ausblicke geschaffen werden dürfen und müssen. Aber dazu gehören dann Gartenkünstler und keine Schuster. Und in jedem Fall soll man es sich reislich überlegen, ehe man in einer halben Stunde einen Baum zerstört, der fünfzig, hundert Jahre gebraucht hat, um groß zu wachsen. Man hat kürzlich ein Reserendum über den Eisenbahnvertrag serlangt, weil er das Land auf fünfzig Jahre hinaus bindet. Baumfällen ist auch eine Sache, die sich durch ein halbes Jahrhundert auswirkt.
Die Bäume gehören der Allgemeinheit. Die Allgemeinheit macht sich über ihre Schönheit, ihren Nutzen oder ihre mögliche Schädlichkeit jetzt im Winter, wo sie entlaubt dastehen, nicht den richtigen Begriff. Jetzt sind es keine Bäume, sondern kahle Strünke Aber man weiß, wenn man bis zum Sommer wartet, dann gleicht das Fällen derart einem öffentlichen Mord, daß die Gefahr bestünde, die Männer, die so einem lebendigen Wesen an die Haut gehen, würden vom Publikum gelyncht.
Es gibt auf dem Stadtgebiet Baumreihen, die wohl als Ganzes schön wirken, aber aus häßlichen Individuen bestehen. So unsere Kastanienalleen, mit Ausnahme der Scheffer-Allee. Sie sind wie grüne Tunnels und zur Zeit der Blüte eine Augenweide. Nur die einzelnen Bäume sind verkrüppelt und verschnitten und verschandelt, daß Gott erbarm. Aber wer hätte den Mut, der zuständigen Stelle zu raten, daß sie ersetzt würden, nachdem die zuständige Stelle seit über einem halben Jahrhundert den Beweis liefert, daß sie von Baumpslanzen nichts versteht! Wenn man sehen will, wie die Noßkastanie als Alleebaum aussieht, so betrachte man die alten Exemplare, die am Paradeplatz und an der Scheffer-Allee noch von Anbeginn dastehen und vergleiche sie mit den Struwelpetergestalten der Jüngeren, die seit einigen Jahrzehnten nachgepflanzt wurden. Die einen tragen auf zwei, drei starken Hauptästen von dem gedrungenen Stamm aus das mächtige und doch anmutig fallende Laubdach hoch empor, die andern fahren regellos mit knorrigem Geäst um sich herum und bringen es zu keinem Rhythmus und keiner Würde.
Es würde tatsächlich die Mühe kohnen, daß wir uns einen Mann verschrieben, der von Baumstil etwas versteht, damit wir mit unserm Reichtum an Bäumen nicht ins Blaue hinein wurschteln.