Im Radio-Journal teilt der Vorstand der Luxemburger Rundfunk-Amateure (S. I.. A. T. S. F.) mit, daß er demnächst im Blindenheim in Berburg für die dortigen Pfleglinge unentgeltlich eine EmpfangsStation einrichten wird. Er ist zu dieser edein Initiative zu beglückwünschen. Es war eine Regung echtester Menschlichkeit, daß er auf diese Weise die Ärmsten der Armen, die von dem Schönsten der Sinnenwelt abgeschnitten sind, wenigstens in anderm Betracht mit der Welt in Fühlung bringen und so ihrem Leben mehr Erleben, mehr Inhalt schenken will.
Haben Sie sich jemals in Gedanken vor die Frage gestellt, ob Sie, wenn Sie wählen müßten, lieber blind oder lieber taub wären? Tausende gegen einen werden lieber Beethoven als Milton sein. Und doch sollte man hier sagen, daß die Blinden vor den Tauben ein Gewaltiges voraushätten: Eben diese fast grenzenlose Fühlungnahme mit der auswärtigen Welt. Ein Blinder vermag durch den Rundfunk den Ton einer lieben Stimme, den Klang einer Saite über den halben Erdball zu hören, der Taube dagegen sieht nie über die Linie des Horizonts hinweg. Wird es einmal gelingen, auch die Schwingungen des Lichts auf Tausende von Kilometern bis an die Netzhaut, wie die Schwingungen des Schalls bis an das Trommelfell zu bringen? Stellen Sie sich vor, es legt Ihnen jemand ein Stahlband mit zwei Kapseln über den Schädel und sagt: Schließen Sie bitte die Augen - und im nächsten Moment steht auf Ihrer Retina das Bild eines Vetters in Chicago, der mit seiner Frau am Frühstückstisch sitzt und grade den Brief liest, den Sie ihm vor zehn Tagen geschrieben haben!
Unser Drang geht nach Eroberung der Welt: Flugzeug, Telephon, Rundfunk - mit dem Ohr können wir sie auf Tausende von Meilen im Umkreis besitzen - wann auch mit dem Auge? Die Technik ist das tägliche Brot unseres Lebens geworden. Sie ist eine Pflicht der Jungen gegen sich und gegen die Menschheit. Ihre Errungenschaften müssen Gemeingut werden. Früher galt ein Quartaner für exzentrisch, der den Ehrgeiz besaß, den Bedarf seines Elternhauses an elektrischen Schellen eigenhändig zu decken, heute ist es selbstverständlich, daß jeder Zwölfjährige sich eine Nundsunkitation einrichtet und bei Gefahr seines Lebens eine Antenne nach dem Dach des Nachbarhauses spannt. Eigentlich müßte jeder moderne Mensch sich über das Wesen aller technischen Erfindungen klar sein. Denn was geschähe, wenn wir im Raum mit einem andern bewohnten Stern zusammenstießen, auf dem sie noch ein Jahrtausend zurück wären? Gesetzt den Fall, Sie würden bei einer solchen Karambolage auf den Mond oder Mars verschlagen und müßten mit dessen Bewohnern - in der Annahme, daß es auch dort Menschen gibt - weiterleben. Es gäbe dort weder Automobil noch Flugzeug, noch Dampfmaschine, noch Elektromotor, noch Photographie, noch Kino, noch Setzmaschine, noch irgendwelche der hunderttausend Maschinen, die das Leben von heute erst ermöglichen, noch irgendeine der Errungenschaften der Medizin, noch Bier, noch Wein, noch Proporz, noch Berufskammern usw. usw. Und Sie erzählten den Marsleuten von all diesen Wundern und einer fragte Sie, wie es denn gemacht wird: Wie ständen Sie dal Wir gehören in ein Zeitalter schwindelnd hoher Vervollkommnung, und der erste Beste von uns wäre nicht imstand, auch nur den tausendsten Teil davon aus seinem Wissen darum neu zu schaffen!
Vielleicht auch würden die Marsleute sagen: Hören Sie, junger Mann, das ist alles schön und gut, aber wir sind überzeugt, daß wir ohne alle diese Komplikationen hier glücklicher und zufriedener sind, als Sie da drüben auf Ihrem Erdball.
Vielleicht hätten die Marsleute recht. Vom Proporz weiß ich es ganz gewiß.