In den Zeitungen war dieser Tage viel die Rede von einer Lösung, die einzelne Staaten der nordamerikanischen Union in der Ehescheidungsfrage gefunden haben.
Die Ehegatten haben im Lauf des ersten Jahres ihres Zusammenlebens zu erklären, ob sie beieinander bleiben oder auseinander gehen wollen. Nach Ablauf des ersten Jahres ist im ersten Fall die Ehe für immer geschlossen und kann überhaupt nie mehr geschieden werden.
Praktische Leute haben gleich die Konsequenzen gezogen: Die Ehe auf Probe wird wahrscheinlich so beliebt werden, daß niemand mehr länger als ein Jahr verheiratet sein wird. Bleiben aber zwei über das Probejahr hinaus zusammen und entdecken später, daß sie nicht zusammen passen, so wird die Chronik der Gattenmorde durch Gift oder Revolver ins Unermeßliche wachsen.
Für unsere Begriffe ist dies jugendlich leichtsinnige „entweder oder“ verblüffend. Aber man liebt es drüben, jedes Übel bei der Wurzel zu fassen, ohne Rücksicht auf die umstehenden Wurzeln, auf denen kein Übel wuchert. Siehe Alkoholausrottung. Auch diese matrimoniakpolitische Maßnahme schüttet das Kind mit dem Bade aus. Was sage ich, das Kind? Alle Kinder, die im Lauf des Probejahres geboren find!
Man denkt an ein Schiff, das alle Insassen an Land setzen würde, die im Lauf des ersten Tages einer Weltumseglung seekrank geworden wären. Nachher wird niemand mehr ausgeschifft und wenn er den Tod vor Augen sähe.
Die Amerikaner sind anscheinend dahinter gekommen, daß die meisten Fälle von Ehemüdigkeit im Lauf des ersten Jahres auftreten. Der Begierde ist die Übersättigung gefolgt und damit die Gefahr der Ehezwiste. Durch Kinder - Illinge, Zwillinge, Drillinge - wird diese Gefahr nicht immer beschworen. Es kann sein, daß entweder der Mann oder die Frau oder daß beide nicht kinderlieb sind und es als Erlösung begrüßen würden, wenn ihr erstes Kind oder ihre ersten Kinder nicht unter ihrem Dach großwüchsen.
Sollte der amerikanische Gesetzgeber sich durch die alleinige Rücksicht auf solche primäre Ehemüdigkeit haben leiten lassen, so wäre er übel beraten. Die erwähnte Übersättigung trägt in sich den Keim neuer Begierde, es ist ein beständiger Wechsel zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt, und es ist ein gefährliches Lottospiel, das die Entscheidung über mehrere Leben möglicherweise und zufällig auf die absteigende Linie oder gar in einen Tiefpunkt dieser passionellen Wellenlinie verlegt. Im Anfang einer normalen Ehe treibt Natur die Gatten einander stets wieder in die Arme, auch wenn sie in ihrem reinen Menschtum, das vom Eros unberührt ist, einander nichts bedeuten. Die große, dauernde Gesahr der Verbitterung liegt später. Aber da rechnen die Amerikaner wohl damit, daß solche Gatten vernünftig und dem Leben gegenüber unabhängig genug sind, um ihre Wege auch ohne gesetzgeberischen operativen Eingriff aneinander vorbei zu finden.
Einen Schönheitsfehler hat die amerikanische Lösung. Zum Auseinandergehen gehören zwei, grade wie zur Heirat: Wenn nun der eine will und die andere will nicht, und umgekehrt?
Aber Amerika ist ein junges Land. Lösungen, die für Alte nichts taugen, weil ihre Elastizität, ihre Resorptionskraft gelitten haben, können für Junge vorzüglich sein.