Original

25. März 1925

Ein alter Luxemburger saß am Sonntag Nachmittag an seinem brummenden Holzofen. Die Sonne schien in sein Zimmer und er las in einem Buch, irgendeinem alten Buch, in dem die Nervosität der „Jetztzeit“ und die Stilkapriolen der Modernen gottlob nicht waren.

Eine Blechmusik dämmerte rhythmisch irgendwo in der Entfernung auf. Sie sagen, eine Kavalkade sei halbfastenhalber umgegangen. Der Mann am Ofen horchte auf. Erst war es nur, als komme der Ton in sein Ohr vom Singen seines Blutes. Und dann stand äußerst zart, zum Wegblasen, aber deutlich und fein eine helle Tonfolge im Raum und die Trommelschläge waren wie dumpfes Bellen, das je und je im Takt einem hellen Flug Töne wie aufgescheuchte Tauben vor sich herjagte.

Dann wurde das zarte Gebilde zu einem lauten, banalen Marsch für Blechmusik mit der billigen Bravour der Beßpassage im Trio und den hellen Hörnern, die wieder von vorn in der andern Tonart einsetzten, wie junge, draufgängerische Minister, die eine Regierung von alten Reaktionären gestürzt haben. Und dann kam die Baßpassage wieder dran und der alte Luxemburger hörte nicht mehr, wie es weiter ging, weil die Blechmusik allmählich wieder zu einem feinen, durchsichtigen Klanggewebe wurde, das in der Ferne verschwand.

Der alte Luxemburger dachte: Wie seltsam! Die Leute, die diese Musik machen, wollen damit Freude in die Luft streuen, und es wird in der Ferne Wehmut daraus.

Denn die Erinnerung überfiel ihn an die Langeweile der Sonntage in Luxemburg - vor vierzig Jahren und manchmal auch noch heute. Der entsetzlichen Spießersonntage.

Die Sommersonntag-Vormittage waren schön. Es war in den Straßen, als duftete es nach frischer Wäsche. Man ging in die Großstraße, traf Bekannte, die mit Dessertdüten von Perlia oder Lamarque kamen, - der weibliche Einschlag bestand in der Hauptsache aus Milchmädchen von Merl, Cessingen usw., die in farbenfrohen Sonntagstoiletten ihre werktäglichen Gänselieselerscheinungen vergessen zu machen suchten. Die Sensation war das Schausenster von Segers, wo vielleicht ein Bild von Munkaczy oder Broscik oder ein Füsain von Heldenstein oder Karikaturen von Michel Engels ausgestellt waren. Auf dem Kiosk des Paradeplatzes hatte der Dirigent einen schönen schwarzen Vollbart, wie Kaiser Maximilian von Mexiko, und zwischen den promenierenden Herren waren nur seltene Frauengestalten zu erblicken. Und standen damals schon Tische auf den Trottoirs? Unter den Bäumen jedenfalls nicht. Und in die Scheiben der Kasseehausfronten waren Blumen und Arabesken geschliffen, damit niemand die Gäste im Innern sehen konnte. Den Ausgang der Elfuhrmesse, wodurch die nordwärts beheimatete Damenwelt fällig wurde. erwartete man gespannt, wie um Oculi der Jäger den Schnepfenstrich. Und dann kam das Mittagessen und dann starb der Sonntag. Er war eine Leiche, lag auf der Bahre, verweste. Und die Menschen der Stad: saßen um die Leiche des Sonntags und hielten gähnend die Totenwache. Es war zum Heulen trostlos. Und in dies Gähnen und Verwesen hinein wehte den Nachmittag hindurch ab und zu ein Vorbeiklang von Blechmusik - schwoll an - schwoll ab - sank unter und ertrank in dem lauernden Schweigen. Es war, als pfiffe sich das Gespenst der Langeweile eins überm Umgehen. Und dann versank und ertrank wieder die ganze Welt, bis nach einer halben Stunde wieder ein wenig Blechmusik über den bleiernen Wellen irrlichterte.

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KatalognummerBW-AK-013-2873