Sonnenzauber und Strafporto.
Sie haben den einen, ich das andere.
Sie schreiben mir auf ostereifarbigen Ansichtskarten aus Nizza, Monte Carlo, aus Korsika, Tunesien, Marokko und allen gottbegnadeten Sonnenländern, auf telegrammstilistisch beschriebenen Jubelkarten, wie herrlich es sei und wie jammerschade, daß ich nicht mit ihnen in der mittelmeerländischen Geographie herumreisen und mich bestrahlen lassen kann.
Und dann schellt morgens unser Briefträger und hält mir drei exotisch frankierte, farbenstrahlende Postkarten hin und sagt: „So, da bekäme ich wieder ein Franc fünfzig Strafporto.“
Ich muß sagen, er meint es gut. Er hält mir die Karten mit der beschriebenen Seite so lange hin, daß ich die paar Zeilen bequem lesen und dann sagen könnte: „Ich danke schön, nehmen Sie alles wieder mit.“
Aber das tne ich nicht. Ich löse die Karten ein, denn sie sind ihr Geld wert. Man muß sie nur zu benützen wissen.
Erstens die relativ seltenen Briefmarken, jawohl. Und dann: Diese Karten können Dienst tun als Märchenzaubermäntel, auf denen Du fliegen kannst, wohin Du Lust hast.
Hier vor mir liegt zum Beispiel eine Karte aus Marrakesch mit der Ansicht der „Koutoubia“. Diese Karte will betrachtet sein sub specie dessen, der sie in Luxemburg liest, und derer, die sie vor acht Tagen in Marrakesch geschrieben haben.
Hier in Luxemburg bläst uns die Märzluft rauh wie ein Reibeisen ums Gesicht, wenn zweie sich auf der Straße begegnen, husten und schneuzen sie sich an und sagen, wie heuer die Grippe so hartnäckig ist, die Bäume stehen in schweigendem Wintertrotz, als sei ihnen das Blühen auf ewig verleidet, die Erde macht trotz der jungen Märzsonne ein verbohrt unfruchtbares Gesicht, als triebe sie, ewig unwirtlich und durchfroren, dem Rand der Zeiten entgegen.
Und dort: Die Koutoubia steht in der doppelgestrichenen afrikanischen Sonne und leuchtet rot und predigt leidenschaftlich von Auferstehung, die Villen und Mauern schimmern weiß und kichern über das heiße Leben, das von inwendig heraus sie durchzittert. und ich stelle mir die Freunde vor, die sonnensatt in einer Wolke von lachendem Frohsinn da hindurch wandern - sie schreiben zwar, drüben sei die Zeit der Gewitter, aber wo Gewitter sind, muß Sonne gewesen sein -, sie sind hinaus und hinüber gehoben aus den engen Zusammenhängen der Heimat, schwingen mit den Seelen fremder Menschenkinder, die in anderm Umkreis zuhause sind, sie fühlen sich voll des geheimnievoll anrührenden Zaubers farbiger, tönender Vergangenheiten, voll der Schwüle einer benehmenden Gegenwart, im Kern eines Wirbelsturms von Eindrücken, aus deren herrischer, hinnehmender Beschlagnahme sie in den Schatten und Luxus eines Palace oder Terminus flüchten.
Dort denken sie an uns. Dort lassen sie sich vom Oder die Sammlung von Ansichtskarten vorlegen, wenn sie sie nicht schon draußen in einem Bazar mit den unzähligen Amulettchen und Andenkelchen gekauft haben, die sie den Freunden daheim mitbringen wollen.
Man muß selbst schon in der Weltentrücktheit, der süßen Lässigkeit und Gelöstheit solcher Stunden drin gesessen haben, um es zu schätzen, daß die glücklichen Sonnenreisenden sich einen Moment aufraffen, um den Freunden in der Heimat ein rasches Gedenken und ein liebes Wort zu widmen.