Original

31. März 1925

Der deutsche Weihnachtsbaum hat bekanntlich auch in Luxemburg Terrain gewonnen. Die drei ersten Dezemberwochen hindurch sieht der Wilhelmsplatz von rechtlich und widerrechtlich gefällten jungen Fichten grün gesträubt aus. Den Waldbesitzern ist der Brauch ein Greul, in den Familien wird er zusehends mit jedem Jahr beliebter - wäre es auch nur in den Familien der Holzfrevler, die dem Christkind warm für den regelmäßigen erklecklichen Nebenverdienst danken.

Früher bestand - und vielfach besteht auch heute noch unsere ganze nationale Weihnachtspoesie aus kalten Füßen und einem Gebäck aus gewöhnlichem Brotteig, einem ovalen Körper, der oben und unten ein tleines rundes Anhängsel hat. Er ahmt schematisch einen Kartenkönig nach, der auch einen Kopf oben und einen Kopf unten hat, und heißt Köndel = Kindel, eine eßbare Anspielung auf die Geburt des Erlösers.

Dann kam der Christbaum und wurde zum strahlenden Mittelpunkt eines Festes für groß und klein. Er bürgerte sich ziemlich rasch ein, denn um ihn war Poesie, Spannung, Glanz und Erfüllung.

Heute sehen wir einen andern, der dank derselben Expansionskraft neue Provinzen erobern will: der Osterhase. In den Schaufenstern macht der Osterhas schon heute Männchen in Voraussicht des nach ihm benannten Festes. Man sieht ihn in Marzipan, in Schokolade, in Krokant, in Pappguß, als einfaches Nahrungsmittel und sinnig als Gebrauchsgegenstand, als Bonbonniere, als Tintenfaß, als Dufteifläschchen (Parfumflacon) usw. Schon seit Jahren bemüht er sich, in die Volkssitten einzudringen, aber ohne sonderlichen Erfolg. Da und dort vielleicht versteckt am Ostermorgen ein Elternpaar für die Kinder Ostereier im Garten, in Buchs und Crocus und Winterrasen, das Eiersuchen kann seinen Reiz haben, zumal an einem hellen Frühlingstag, meinetwegen auf der Terrasse des Hotels Drei Könige in Bernkaftel, wenn die Mosel grün opalen in der Vormittagssonne hinströmt, wenn der wilde Pfirsich mit tausend hellrosaroten Röschen blustet und der Hang zur Burg hinauf schon schimmert von Weißdorn, oder wenn auch nur die Reben weinen - aber der Gedanke, daß ein Hase heimlich in der Nacht die Eier gelegt haben soll, entbehrt wirklich des dichterischen Glanzes. Der Hase ist überhaupt ein Tier, das in der Poesie keine Heimstätte hat, und er sollte es sich wirklich aus dem Kopf schlagen, ein Gegenstück zum Weihnachtsbaum werden zu wollen.

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KatalognummerBW-AK-013-2878