Original

3. April 1925

Die Arbeiter, die nebenan den Graben für den Kanalanschluß aufwarfen, machten um sechs Uhr Schicht und zweie gingen in die nächste Wirtschaft zu einem Dämmerschoppen.

„Verfluchtes Handwerk!“ sagte der eine, während sie auf den Humpen warteten.

„Es hat auch sein Gutes,“ sagte der andere, nachdem er den ersten Schluck getan und sich den Mund abgewischt hatte. „Wenn man Glück hat, kann einem allerhand Schönes passieren.“

„Zum Beispiel?“

„Zum Beispiel, wenn man - ich muß dir das von vorne an erzählen. Aber versprich mir, daß du dicht hältst.“

„Ich bin doch keine Waschfrau!“

„Na also, es war im Krieg. Der Trunk war knapp geworden, der Blaue rar und teuer, das Bier wie dünnes Seifenwasser, von Wein keine Rede. Alles, was wuchs und noch viel mehr ging an die Front und versickerte in den Schützengräben.

Wir machten grade einen Kanalanschluß dort oben herum bei dem - nu. der Name tut ja nichts zur Sache. Wir hatten uns schon weit über Mannshöhe eingebuddelt, da stoßen wir auf eine Kasematte. Links geht der dunkle Gang Gott weiß wohin, rechts, nach den Häusern zu, ist er mit aufgeschichteten Steinen abgeschlossen. Uns sticht die Reugier, was hinter den Steinen los ist und wir heben so viel heraus, daß wir durchsehen und durchgreifen können. Junge Junge, das Wasser läuft mir im Mund zusammen, wenn ich dran denke. Ein Weinkeller! Hunderte von Flaschen! Und hinter den Flaschen wieder eine Mauer, aber eine richtige. Es war so: Ein Nachbarhaus war auf der Kasematte gebaut, der Eigentümer hatte in den Gang die Mauer aus rohen Steinen aufschichten lassen, um sich gegen das Weitere abzuschließen, und dort seinen Weinkeller eingerichtet. Als die Preußen immer nicht abziehen wollten, kriegte er es mit der Angst um seine Schätze und ließ sie vom eigentlichen Keller durch eine Mauer abschließen, die jedermann für eine Fundamentmauer des Hauses ansehen mußte. Und nun waren wir ihm von der Straße her über die Bibliothek geraten! Herr du meines Lebens? So voll wie an dem Mittag war ich weiß Gott nie! Wir kriegten uns die Flaschen her, schlugen ihnen die Hälse ab und gluck gluck gluck herunter mit ’s Gift. Es war, wie wenn dir ein Engel mit rotem Samthandschuh, mit dem Strich, die Kehle hinunter und durch den Magen fährt. Bis der Meister kam und den Braten roch. Er sagte, er hätte es schon von weitem erschnüffelt, es hätte geduftet, wie aus einem Gärkeller. Wir mußten die Steine sauber wieder hinschichten und uns mit den Flaschen begnügen, die wir bis dahin ausgepichelt hatten.“

„Und wie ging es weiter?“

„Wie ging es weiter? Ich habe nie wieder davon gehört. Der Eigentümer des heimlichen Kellers wird ihn nach dem Krieg wieder haben aufbrechen lassen, reklamiert hat er jedenfalls nie. Aber wenn ich an den Wein denke, Jesus Marjosep, ganz andächtig werde ich davon!“

„Natürlich,“ brummte der andere, „einen Batzko läßt man nicht einmauern, da muß es schon eine bessere Nummer sein!“

Das Interessante an dieser Geschichte ist, wie ich nachträglich ersahre, daß sie wortwörtlich wahr ist. Nur ob der Besitzer des heimlichen Weinkellers sie kannte und ob er sein Versteck überhaupt wieder hat aufschließen lassen, weiß ich nicht.

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KatalognummerBW-AK-013-2881