Original

5. April 1925

Heute früh konntet Ihr sie sehen. Sie waren, wie der Volksmund sagt, ausgeborsten. Zu Dutzenden stürmten sie die Wagen, auf denen stand: Luxemburg-Ulflingen.

Heute ist der erste Sonntag der Forellenfischsaison. Heute fließt durch das Herz eines jeden Anglers ein Bach mit rauschenden Schnellen und träumerischen Tümpeln, und in den Bach hinein taucht seine Sehnsucht und tanzt durch und über die Fluten, und am untern Ende der Sehnsucht ist ein Regenwurm, eine Ellritze, eine March Brown oder ein Stück blinkendes Blech.

Jeder Angler war einmal ein Tartarin. An ihrer Ausrüstung sieht man, wie weit sie das TartarinStadium überwunden haben. Es sind welche dabei, die tragen Gummistiefel bis an „den hohlen Leib“, wie Kloakenfeger, ihre Körbe sind die sicht- und greifbare Verkörperung der Ansprüche, die sie an den Tag stellen. Andere gehen fischen, wie sie zu ihrem Stammtisch gehen und ihre Körbe sind von rührend bescheidener Dimension. Diese sind es, wie immer, die die meisten Forellen heimbringen.

So stechen die Angelfischer in die See ihrer Hoffnungen, mit fliegenden Wimpeld - und ach! wie oft, wenn sie abends in Kautenbach und Göbelsmühle einsteigen, hängen die Wimpel betrübt an den Stangen, die Körbe baumeln an den Hüften, leer und leicht, wie unerfüllte Versprechen, und die untergehende Sonne scheint spöttisch durch das Weidengeflecht.

Meint Ihr, das verdirbt den Fischern die Laune? Mit nichten. Ihrer ist allemal das Himmelreich der dustenden Pfeife und des rahmigen Humpens, in dem sie im Bahnhofrestaurant den viele Stunden alten Durst ertränken. Und die Fische, die sie mit Wurm und Ellritze, mit Spinner und Fliege nicht gefangen haben, die fangen sie nachträglich mit ihrer gottgeschenkten Fischerphantasie.

In der Politik wirft man sich mit wutzitternden Lippen den Lügner an den Kopf, wenn einer vom andern sagt, er habe am 27. Dezember 1917 für die Kartoffelausfuhr gestimmt. Der Fischer lügt nicht aus Heimtücke, sondern aus Freude an der schönen wilden Welt. Er denkt, wie herrlich es wäre, wenn er jetzt 23 Forellen gesangen hätte, die zusammen 15½ Pfund wiegen. Und er tut einfach den kleinen Schritt weiter und erzählt seinen Bekannten, daß er sie gefangen hat. Zuweilen allerdings will er damit auf Gleichstrebende wirken, wie eine Frau auf ihre Freundin mit einem neuen Hut, aber das ist schon moralische Aasfischerei.

Der alte Fischer, mit dem ich mich manchmal im Eisenbahnwagen treffe, frug mich, was ich denn gefangen hätte.

„Sieben Stück,“ sagte ich wahrheitgemäß.

Ein wehmütiges Bedauern trat in seinen Blick, er legte sanft seine Rechte auf mein linkes Knie und sagte:

„Ach ja, wir werden alt. Wir kommen nicht mehr mit. Wir wissen nicht mehr Bescheid.“

„Wieso?“ frug ich erstaunt.

„Haben Sie denn noch nicht gemerkt, daß nicht mehr ungerade gelogen wird? Heute lügt alles gerade.“

„Ich verstehe nicht .....“

„Sie sagten doch sieben?“

„Jawohl.“

„Tempi passati, lieber Freund. Früher, ja, da ging es nur mit ungeraden Zahlen. Man hatte, wenn man ganz bescheiden war, drei Stück gefangen, aber darunter waren zwei gute Dreipfünder und eine von stark dreiviertel Pfund - genau 387 Gramm. Dann hatte man sieben gefangen, alle mit der Fliege. (Aber sie waren schlecht gegangen.) Dann 23 - die Zahl 27 war sehr beliebt, an manchen Sonntagen hatten 60-70 Prozent aller Kollegen ausgerechnet 27 Stück geangelt. So ging es weiter, 45, 57, 63, 88 - aber dabei waren 13 Möhnen -, die Asse brachten es wenigstens einmal in ihrem Leben auf 103, 107 oder 109.“

Er machte eine Pause und sog seine Pfeife wieder in Brand.

„Heute lügen sie gerade, mit Unschuldsmienen legen sie Ihnen die 20, 40, 60, 80 Stück hin - oder nein, sie lügen nicht mehr in Stück, sondern nur noch in Pfund. Was heutzutage ein rechter Fischer ist, zuckt die Achseln über die Wertung der Beute in Stück. Er fängt nur Pfund, 4, 8, 16, 32, 64 Pfund. Echt englisch. In England zählen Ihnen die Banken Ihre Sovereigns ja auch nicht in Stück auf das Zahlbrett, Sie kriegen Ihren Betrag hingewogen.“

„Aber ich habe wirklich sieben .....“

Er schüttelte den Kopf und sagte:

„Machen Sie acht Pfund daraus, sonst hält Sie jedermann für einen Stümper und Aufschneider.“

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KatalognummerBW-AK-013-2883