Die nachstehenden gelehrten Ausführungen, die ich Herrn Dr. Ernst Platz verdanke, glaube ich der Öffentlichkeit nicht vorenthalten zu dürfen. Herr Dr. Platz schreibt mir:
„In Ihrem Abreißkalender vom letzten Samstag kommen Sie auf den „Predigtstuhl“ zu sprechen und unterbreiten den Fall den luxemburgischen Sprachforschern. Wenn ich Ihren Lesern damit angenehm sein kann, will ich gern ein Wörtchen dazu sagen, um so mehr als die „Luxemburger Zeitung“ von jeher ein warmes Interesse für sprachwissenschaftliche Bestrebungen an den Tag gelegt hat.
Es fällt Ihnen auf, daß man in den Wörtern „Predigtstuhl“ und „Beichtstuhl“ auf völlig unzutreffende Weise den Bestandteil „Stuhl“ vorsindet; Sie hätten ohne weiteres den „Dingstuhl“ von Echternach hinzufügen können; aber hier will ich gleich eingreifen und meine Auffassung hersetzen, daß in diesem Wort, in seiner richtigen dialektischen Form „Denzelt“, das Element „Stuhl“ gar nicht enthalten ist. „Dingstuhl“ wird eine oberflächliche Verdeutschung sein, wie etwa „Kopstal“ zu „Koplescht“. -elt ist eine Endung, die in unsern Flurnamen sehr oft angetroffen wird, und die erste Silbe „Denz-“ dürfte vielleicht auf den Namen des fränkisch-friesischen Gottes Thingsus zurückgehen, der in dem Wochentage Dienstag noch erhalten ist, jedoch volksetymologisch unter Anlehnung an ding, „Gerichtsstätte“ umgestaltet wurde. Der germanische Gott Thingsus entsprach dem Mars der Römer.
Doch das nur nebenbei. „Predigtstuhl“ und „Beichtstuhl“ wären auffallende Bezeichnungen, wenn „Stuhl“ immer die heutige Bedeutung gehabt hätte; man bedenke nur, daß letzteres Wort mit dem griechischen stylê, „Säule“ urverwandt ist, ferner mit lateinisch stare, stehen“, griechisch stynai, „stehen“ usw. Das deutsche Wort hatte im Mittelalter die allgemeine Bedeutung von einem erhabenen Sitzgestell für einen regierenden Herrn, und in dieser Bedeutung hat es sich bis auf den heutigen Tag für die geistlichen Obern (Papst, Bischof) erhalten.
Warum gerade für die geistlichen Obern? Meiner Meinung nach hat das folgende Bewandtnis. Der Predigtstuhl heißt auf französisch chaire, vom lateinischen cathedra; das heutige chaise, „Stuhl“ ist nur eine lautliche Umgestaltung von chaire; wir wissen nämlich, daß im sechzehnten Jahrhundert in Paris, besonders unter den Frauen, die Tendenz herrschte, s und r miteinander zu vertauschen, eine Mode, über die sich bekanntlich Clément Marot in der Epistre du biau fys de Pazy lustig-machte. Der Grammatiker Pillot schrieb im Jahre 1550: „Parisinae mulierculae .... adeo delicatulae sunt, ut pro pere, mere, dicant peze, meze..“ Aus dieser Zeit hat sich chaise für chaire erhalten. Es ergibt sich daraus, daß unser Wort „Predigtstuhl“ eigentlich dasselbe sagt wie das französische chaire und das lateinische cathedra.
Wieso kommt das? Das kommt daher, daß die meisten kirchlichen Bezeichnungen aus Italien importiert sind und daher lateinische Namen tragen: Messe von lat. missa, Vesper von lat. vesper, Pastor von lat. pastor, Vikar von lat. vicarius, Kaplan von lat. capellanus usw. Bloß ist zu beachten, daß in gewissen Fällen das lateinische Wort nicht direkt übernommen, sondern wörtlich übersetzt wurde. Predigtstuhl zum Beispiel ist ein sog. Übersetzungs lehnwort von lat. cathedra.
Über das Moselwort Klambuedsto’l, „Stoppes“ weiß ich Ihnen, wie Sie richtig ahnten, nichts zu sagen. Warten wir ab, bis wir in der „Luxemburgischen Sprachgesellschaft“ einige Jahrzehnte sprachwissenschaftlicher Forschung hinter uns haben!“