Original

8. April 1925

Man findet es selbstverständlich, daß sich die Leser der Zeitung für den Börsenbericht interessieren. Man will doch wissen, nicht wahr, ob man über Nacht ärmer oder reicher geworden ist. Auch der Wetterbericht ist eine populäre Rubrik, obgleich nicht immer zuverlässig. Es ist freilich leichter, zu sagen, wie gestern die Börse war, als wie morgen das Wetter sein wird.

Aber daß auch der Zivilstandsbericht so tief im Interesse der Massen verankert ist, das war mir nie über die Schwelle des Bewußtseins geschwebt, bis mich heute vormittag in einer engen Straße, wo das Ausweichen schwer war, ein reizendes junges Frauchen mir der vorwurfsvollen Frage antrat, was denn das für eine Bummelei in der Zeitung sei, schon seit einer Ewigkeit sei kein Zivilstandsbericht mehr erschienen.

Ich versicherte ihr, es sei ganz gewiß keine boshafte Absicht meinerseits im Spiel und mir sei es jedenfalls nicht aufgefallen, daß die Zivilstandssparte reglementswidrig lange ausgeblieben sei.

„Ja, von Ihnen glaube ich es!“ schmollte sie. „Aber es ist wirklich zu dumm. Jahre lang, Jahrzehnte lang, ein halbes Jahrhundert lang und drüber verkündet Ihr Blatt der Öffentlichkeit die Geburt jedes jungen Luxemburgers und jeder jungen Luxemburgerin. Und ausgerechnet wenn unsereins ....“

Sie hielt errötend inne und ich erriet. Es war ein Töchterchen, ein Dingelchen zum fressen, ich müßte unbedingt einmal kommen und es mir ansehen. Zu dumm wirklich, daß es nicht in der Zeitung stand. Ich legte großes Verständnis für den enttäuschten Mutterstolz an den Tag und die junge Mama spann ihre Entrüstung über den Ausfall der Zivilstandsberichte weiter aus.

„Ist Ihnen nie eingefallen, in einem alten Zeitungsband nachzuschlagen, wer gemeinsam mit Ihnen dazumal unser Erdenjammertal betrat? Und schöner noch: Ist es für einen Vater und eine Mutter - zumal eine Mutter - nicht die Befriedigung einer sehr berechtigten Neugier, daß sie in der Zeitung lesen, wer die Altersgenossen und Altersgenossinnen ihres Sohnes oder ihrer Tochter sein werden? Unter diesen Altersgenossen bezw. Genossinnen ist aller Wahrscheinlichkeit nach der zukünftige Schwiegersohn oder die zukünftige Schwiegertochter. Meine Kleine strampelt in ihrer Wiege und ich möchte zu gerne wissen, wo und in was für Wiegen in Großluxemburg herum die Büblein strampeln, mit denen sie über sechzehn, siebzehn Jahre tanzen lernt, die ihr die Cour schneiden und sich in sie verlieben werden. Sehen Sie die Wichtigkeit der Zivilstandsrubrik ein? Und nicht nur die von demselben Tag, derselben Woche, demselben Monat, in die meines Töchterchens Geburtstag fällt, nein, wenn es sich um eine Tochter handelt, muß man die Möglichkeit haben, eventuell zehn Jahre zurückzublättern - mehr als zehn Jahre älter als sie darf mein zukünftiger Schwiegersohn nicht sein -, während bei einem Sohn die besorgte Mutter ebenso lang in die Zukunft die weiblichen Geburten verfolgt und diejenigen heraussticht, die für den ihrigen in Betracht kommen können. Bei jedem Radrennen laufen die Leute zusammen, wenn das Feld vom Start geht. Uns Mütter interessiert es viel tiefer, wer beim Rennen ins Leben mit unsern Herzblättchen zusammen, scratch oder handicap, vom Start gelassen wird. Also sorgen Sie dafür, daß die Zivilstandsberichte keine Unterbrechung mehr erfahren!“

Ich versprach ihr, daß jedenfalls bis zur Geburt ihres Jungen das regelmäßige Erscheinen der betreffenden Rubrik gesichert sein wird.

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