Unsere Leser erinnern sich des Preisausschreibens der „Luxemburger Zeitung“ für die beste luxemburger Neujahrsnovelle 1925, und daß Herr Pierre Faber mit der Novelle „Jim“ den ersten Preis davontrug.
Seine Erzählung spielt in Amerika. Wir dachten, das könnte unsern zahlreichen Landsleuten drüben nur schmeicheln und gestatteten der Namensvetterin aus Chicago den Abdruck. Aber wir sehen, daß nicht nur niemand Prophet in seinem Vaterland ist, sondern daß einem die eigenen Landsleute draußen noch viel schärfer auf die Prophetenfinger sehen. Die „Luxemburger Zeitung“ aus Chicago scheint sich insgeheim darüber zu ärgern, daß der Verfasser der „Jim“Novelle ihr mit seinem amerikanischen Hintergrund ins Handwerk gepfuscht hat. Ähnlich erging es bekanntlich dem Komponisten Bizet, als seine spanische Oper „Carmen“ zuerst in Spanien aufgeführt wurde. Herr Pierre Faber mag sich also trösten.
Im übrigen hatten wir gemeint, im Lande Mark Twains wäre mehr Sinn für Humor und unsere Landsleute drüben dächten nicht dran, eine harmlose Fiktion als Schmälerung ihrer Verdienste um die luxemburger Sache in Amerika aufzufassen. Wir dachten besonders, die Originalität und Prägnanz der Form, die literarische Qualität der Erzählung fänden drüben Verständnis. Hier die Abkanzelung der Namensschwester aus Amerika:
„Der Autor versetzt uns mit der ersten Zeile ins Jahr 1971, wo sein Held „Jim“ das Leben eines „Trappers“ in Alaska müde wird und sich zur Reise nach Chicago vorbereitet. Gegen alles Herkömmliche ist das „Grünhorn“ im sonnigen Florida gelandet, von wo er seinen Weg als Tramp über Texas und Kalifornien nach Alaska macht, um in Eis und Schnee im ewigen Norden sein Unglück in der kleinen Heimat zu vergessen. Das Goldgraben schiene uns im Norden eine plausibelere Arbeit als Silberfüchse zu fangen, wozu Scharfsinn und Tierkenntnis unentbehrlich sind, die ein „Grünhorn“ sich auf heute und morgen nicht aneignen kann.
Der Verfasser ist mit den Verhältnissen in Amerika nicht vertraut, wie unsereiner, der die harte Schule des Alltagslebens hier durchgekostet hat. Das exotische, besser amerikanische Gewand der Erzählung mag im luxemburger Land anziehend wirken, bei uns hingegen macht es wenig Eindruck, da das Kolorit und die Erfindungsgabe uns nicht anregen.
Zu Neujahr 1972 findet in dieser Erzählung der erste luxemburger Kongreß im Luxemburg Building in Chicago statt. Man erinnert sich nicht der luxemburger Kongresse in Aurora (1896) und Chicago (1897), die mit großem Prunk abgehalten wurden! Nach Aurora zog damals, wie immer im Mai, die luxemburger Theatertruppe von Chicago im Frack, weißer Weste und im Cylinderhut, um im Opernhaus „Den Invalid“ und „Op der Juocht“ zu spielen. Wie schauen heute die 14 Mitglieder auf der vergilbten Photographie so erinnerungsreich auf uns herab, nachdem sie später, wie die Spreu vom Winde, auseinandergestoben wurden.
In Chicago bewegte sich schon 1897 ein Schauzug von Kutschen von der unteren Stadt nach der geschmückten Halle der Turngemeinde, wo es während zwei Tagen hoch herging. Automobil und Flugzeug gab es noch nicht, als daß dieselben hätten benutzt werden können.
Und das Luxembourg Building, das uns der Verfasser 1972 in Chicago vormalt! Wir haben vor zehn Jahren eine luxemburger Halle in der Nachbarstadt Aurora eingeweiht, die der dortige Bruderbund errichtet hat, und unsere Sektion Drei dieses Bundes hat heute soviel Baargeld, daß mit dem Bau eines großen Luxemburg Building begonnen werden könnte.
Die Erzählung ist sehr gut geschrieben, aber das Kolorit des ganzen macht nicht denselben spannenden Eindruck auf uns, wie solches „Drüben“ der Fall sein muß. Das Motiv der preisgekrönten Novelle erinnert uns sofort im Hauptzug an ein Gedicht: Zwo Krauselen, im Buch „Blummen aus Amerika“ von J. B. Merkels; hier ist ebenfalls der einsame Mann, nachdem ihm die Frau mitsamt dem Kind gestorben ist aus Leid und Verdruß zum amerikanischen Tramp geworden.“
Nichtsdestoweniger bringt die Chicago Luxemburger Zeitung in ihrer folgenden Nummer die Novelle zum Abdruck, sodaß sich ihre Leser selbst ein Urteil bilden können.