Wir sprachen hier kürzlich von den rotbedachten kleinen Häusern bei Cessingen und der Arbeiterkolonie, die dort entstehen wird.
Dies wird zum Glück voraussichtlich keine Arbeiterkolonie, wie sie in der Nähe großer Werke aus dem Boden wachsen. Die Arbeiter, die sich dort bei Cessingen ihr Heim gründen werden, gehören sicher nicht alle demselben Betrieb an. Und in diesem Sinne braucht man den Begriff Kasernierung hier nicht zu beschwören.
Man erinnert sich noch der Zeit, wo die Bezeichnung Kaserne für das Massenwohnhaus aufkam. Man entsetzte sich über die Schrecken der Kasernierung. Tatsächlich ist ja nichts dem Menschen unzuträglicher als der Mensch. Die besten Freunde verekeln sich aneinander, wenn sie zusammen auf eine Nordpolfahrt gehen.
Zur Kasernierung bedarf es nun nicht eines gemeinsamen Daches. Dieselben Übel entwickeln sich, wenn viele Familien mit gleichgerichteten Interessen und einheitlichen Lebensbedingungen Haus an Haus, Gärtchen an Gärtchen wohnen. Es kommt zu denselben Freundschaften, die sich in grimmige Feindschaften verkehren, zur selben Promiskuität, zur selben Atmosphäre des Streits und der Mißgunst.
Wo die proletarische Seele als Massenphänomen auftritt, sind diese Übel schier unvermeidlich.
Auf dem Dorf ist es anders. Dort wohnen auch Giebel an Giebel die Menschen, die in Liebe und Haß, in Furcht und Wunsch auf denselben Geleisen laufen. Aber sie haben nicht die proletarische Seele. Sie haben die Mentalität, den Stolz, die Erwerbsgier, das Verantwortungsgefühl, das Bewußtsein, arbeiten, schuften zu müssen, nicht nur um zu leben, sondern um mehr zu erraffen, um eine Sprosse auf der Leiter des Besitzes höher zu steigen, das Bewußtsein, ganz auf sich selbst gestellt zu sein, nicht wegen einer Mißernte bei einer Werkleitung reklamieren und eine Besserstellung durchsetzen zu können. Auf dem Dorf geht die seelische Fachsimpelei ganz andere Wege, als in einer Arbeiterkolonie, wo die Insassen ein gemeinsames Joch tragen, das nicht sie sich auferlegen, das ihnen durch eine verwirrende Vielfältigkeit von herrschenden, befehlenden Faktoren auferlegt wird. Sie fachsimpeln weniger über ihre gemeinsame Arbeit, als über ihren gemeinsamen Wunsch nach mehr Glück. Ihr Wunsch nach mehr Glück wird einseitig und endemisch, und ob sie alle unter demselben Dach oder alle in derselben Straße wohnen, macht dabei keinen Unterschied.
Es ginge schwer anders zu machen, aber das Ideal wäre das genaue Gegenteil der Arbeiterkolonie, wäre die Einsprengung der Arbeiterelemente zwischen die übrige Bevölkerung. Die Lebensauffassung zum Beispiel eines Hüttenarbeiters würde anders, wenn er rechts und links an seinen Nachbarn das Beispiel stärkeren Verantwortungsgefühls, größerer Selbständigkeit dem Schicksal gegenüber, bewußterer Individualität hätte. Vielleicht wäre neben dem Bestreben, größere Terrains für den Bau billiger Arbeiterwohnungen zu erwerben, einmal der Versuch zu machen, ob nicht mitten zwischen andern WohnungsKomplexen je und je ein kleines Grundstück für ein einzelnes Haus billig zu haben wäre. Freilich zur Durchführung einer solchen Idee gehört eine unabsehbare Kleinarbeit, und wer möchte die leisten?