Es war einmal ein Mann, der hatte den Glauben an die Menschheit verloren. Meinte er.
Da ging er am Ostermontag Abend zu Bier. Um ihn saßen andere Männer aus der Nachbarschaft, Geschäftsleute, Handwerker, Beamte, und sie redeten von Herriot und Peter Prüm, vom Geschäft, vom Sport, und ein alter Fischer fing immer wieder vom Fischen an. Am lebhaftesten aber ging die Rede über das sportliche Ereignis der Ostertage, das Dreiländertreffen auf dem Spora-Feld.
Da kam jemand so gegen Mitternacht herein und erzählte, auf dem Spora-Feld sitze eine arme junge Frau, in jedem Arm ein Kind, und hungere und friere.
Das ging erst eindruckslos über die Köpfe der Versammlung weg, wie die Meldung von einem Erdbeben in Japan.
Nur einer von der Corona konnte darüber nicht zur Ruhe kommen und ging hinaus, um die Frau mit den zwei Kindern zu sehen.
Als er wiederkam und erzählte, was er gesehen hatte, ging es den Anwesenden doch unter die Haut. Sie fanden, es sei ein Skandal, und waren nicht abgeneigt, der Polizei die Schuld zu geben. Und man müsse unbedingt an die Hauptwache telephonieren, damit der Frau mit ihren Kindern ein Obdach verschafft werde, und als einer mit einem Fünffrankenschein den Grund zu einem Übernachtungsfundus legte, beteiligten sich gleich alle an der Kommanditierung. Und wie es denn so geht, das Interesse für die arme Frau mit den zwei Kindern schoß derart ins Kraut, daß auf der Stelle beschlossen wurde, die drei Ärmsten hereinzuholen in die warme Stube und am lebenden Objekt zu studieren, was geschehen sollte.
Zehn Minuten später wurden sie gebracht. Ein Gast trug auf dem Arm einen Jungen von fünf, sechs Jahren, hinter ihm kam die Mutter, der ein schlafendes Mädchen von vier Jahren am Hals hing.
Ein gutmütiger Enakssohn, der schon an seinem dreizehnten Pöttchen Wormeldinger Riesling war, holte sich gerührt den Jungen her, setzte ihn sich aufs Knie und frug ihn, wie er heiße. Albert. Und ob er Hunger habe. Albert nickte verschlafen. Sein Beschützer, der in diesem Augenblick mit seinen Bärentatzen den kleinen Albert gegen eine Herde Löwen verteidigt hätte, wurde von jener Zärtlichkeit der Starken übermannt, deren Äußerungen mit „Krnondidjeß!“ beginnen. Er frug erst die Mutter nach Nam’ und Art. Sie erzählte, sie sei aus belgisch-Esch hinter Halanzy. Wo denn ihr Mann sei? „En aß mer entloaf.“ Sie war jung, mit zerzaustem Blondhaar, mit dem tückischen Blick der Gehetzten, rassigem Profil, Zigeunerblut. Sie wurde rasch zutraulich und redete der Kleinen zu, die wach geworden war und tat, als wolle sie sich in die Mutter verkriechen.
Es ging ein Hauch von Edelmut und Barmherzigkeit durch den Raum.
Albert wurde mit seinem Beschützer mählich vertraut und antwortete auf dessen Fragen mit energischem Nicken oder mit einsilbigem, aber deutlichem Bescheid, dem keine Schüchternheit anzumerken war.
Die junge Frau Wirtin aber war verschwunden. Sie tat in ihrem Fraueninstinkt das Richtige. „Warm, warm, warm!“ sagte ihr Frauenherz. Und da kam sie mit Tassen, in denen heiße Milch dampfte, und einer Schüssel mit einem leckeren, saftigen Eierkuchen.
Da hättet Ihr den Albert sehen müssen, wie er seinen Mann stand! Sein rechtes Fäustchen, aus dem die Gabel emporstand, ruhte in den Pausen auf dem Tisch, im linken hielt er ein Trumm Brot, mit dem er sich die Eierkuchenstücke auf die Gabel schob, und der Mann, auf dessen Knie er saß, sah ihm mit inniger Rührung zu und riß ihn von Zeit zu Zeit mit einem kräftigen Fluch zärtlich an sein Herz. Erst hatte Albert ausgesehen, wie ein Kindergespenst, denn seine Augenhöhlen waren grau geschminkt, wie die der Kameliendame im letzten Akt, weil er sich den ganzen Tag mit dreckigen Fingern die Tränen zerrieben hatte. Jetzt war er vergnügt und sah trotz der grauen Augenhöhlen wie ein richtiger kleiner Lausbud aus.
Hier wollen wir die Geschichte schließen. Jeder kann sich nach Belieben eine Fortsetzung hinzudenken, zum Beispiel daß der große Freund Alberts ihn adoptiert und zu einem tüchtigen Menschen erzogen, daß ein anderer sich in die verlassene Frau verliebt und sie zu sich emporgezogen hat usw. usw. Die Hauptsache ist, wie die Geschichte in ihrem bisherigen Verlauf auf den Mann wirkte, der den Glauben an die Menschheit verloren hatte.
Er fand, daß die Menschen am Ende doch nicht so schlecht seien, wie er sich ausgedacht hatte, ja daß viele von ihnen vielleicht am Ende möglicherweise sogar besser seien, als er selber. Das gab ihm zu denken- und darum ist es schade, daß nicht noch viel, viel mehr von seiner Sorte obige Geschichte miterlebt haben.