Original

17. April 1925

Heute früh schellte es bei uns am Gartentor. Ein Junge stand draußen und frug, ob wir keine Lumpen zu veräußern hätten. Als ich verneinte, sah er mir dreist und ungläubig in die Augen und sagte: „Ganz sicher haben Sie, Sie sollten nur mal nachsehen, Sie stoßen Ihr Glück mit Füßen.“

Da ich wirklich weder Zeit noch Lust hatte, nach Lumpen zu graben, ließ ich es darauf ankommen und der Junge zog ab, indem er aus dem Hohelied von den Bananen zwei Takte gellend pfiff, immer die zwei selben.

Nichts ist so sehr verachtet, wie Lumpen, Lumpen aus Wolle, Baumwolle, Seide usw., und Lumpen aus Fleisch und Bein. Aber mit dem Lumpen läßt sich allerlei anfangen, mit dem Lump ist es Matthäi am Letzten. Der Lumpen wird zerzupft, zerstampft, zerwalkt, in Brei verwandelt, bei dem Lump ist dies Verfahren ausgeschlossen. Er läßt sich nicht zerstampfen, zerzupfen, zu Brei zerkneten. Doch, es gibt Beispiele, wo der Lump, in eine Masse hineinverarbeitet, wieder brauchbar wird. Ist nicht der und jener aus einem vollendeten Lump, nachdem er gründlich abgewirtschaftet hatte, zum Beispiel in der Légion étrangère wieder zu einem ordentlichen Menschen geworden? Der katholischen Kirche sagt man nach, sie sei in der Verwertung menschlicher Reste wie eine geschickte Köchin, die aus allerhand Abfällen leckere Pastetchen zu backen weiß. Aber bis zu einem richtigen Lumpenheim, das etwa wie das Beggener Klärbassin wirten würde, hat sie es noch nicht gebracht.

Nicht überall sind die Lumpen ein Gegenstand des Abscheus und der Verachtung. Ein Freund, der grade von einer Reise durch Marokko zurück ist, erzählt von dem Geschick, mit dem sich drüben die Eingeborenen in ihre Lumpen drapieren. Sie scheinen sich nicht wohl zu fühlen, so lange das Gewand ihnen nicht in Fetzen malerisch vom Leibe hängt. Erst dann empfinden sie, daß ihre Glieder selbstherrlich die Form der Hülle durchdringen und sich zur Geltung bringen. Ein neuer Burnus will ein Ding für sich sein, vor dem der Mensch sich zu verkriechen hat, erst wenn er zermürbt und zerfetzt ist, wird der Mann darunter wieder zur Hauptsache. Der Araber hat einen angeborenen Sinn fürs Malerische und darum nährt er keine Verachtung für die Lumpen, denn sie sind malerischer und fallen in schönerem Faltenwurf, als der neue Stoff, aus dem die Appretur noch nicht heraus ist.

Die sprichwörtliche Verachtung für die Lumpen beruht eigentlich auf einer törichten, hausbackenen Prüderie. Sie sind im Grund nicht verachtungswürdiger, als andere Abfälle der Hauswirtschaft, Knochen, altes Eisen, zerbeulte Emailtöpfe und Eimer, Sardinenbüchsen und Ofenrohre. Diese verachtet niemand, sie sind ein Handelsobjekt, aber das sind die Lumpen auch. Und zwar sind diese sogar gesuchter, als altes Eisen. Der Mann mit den Kirschen nannte sie immer zuerst: „Lompe fir Kieschten, Alt Eisen, ale Goß!“ Die Industrie der Lumpenverwertung sendet ihre Drainageröhren bis in die entferntesten Winkel. Eine solche Drainageröhre war zum Beispiel der „schlamme Schweizer“, der auf dem Schulplatz von Zeit zu Zeit sein Wachstuch auf den Boden breitete und darauf die Schätze auslegte, die man für einen Schoß voll Lumpen haben konnte. Wir zerbrachen uns den Kopf nicht darüber, zu was später die Lumpen dienen würden, mit denen wir beim Schweizer Johannisbrot und Holzpistolen und Tischkästchen und dergleichen erworben hatten. Nur erinnere ich mich, daß dazumal ein Verfahren von sich reden machte, nach dem man aus Lumpen sogar Branntwein gewinnen konnte. Und daß im „Hausschatz“ die folgenden Verse standen, die mir lange Jahre durch ihren kaustischen Witz imponierten:

Aus Lumpen Branntwein zu bereiten,Erfand man erst in jüngsten Zeiten,Dagegen war es längst erdacht,Wie man aus Branntwein Lumpen macht.
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  • Lumpensammeln - cult offall
KatalognummerBW-AK-013-2892