Wenn man so in Bausch und Bogen sagt, daß es vielen Leuten nach dem Krieg kratzig geht, daß sie alles verloren haben und dem Elend unverdientermaßen preisgegeben sind, so hört man im selben Bausch und Bogen ein allgemeines Bedauern: Ach tja, der Krieg! Was will man da machen!
Man muß einen Einzelfall herausgreifen und an ihm dartun, ein wie skandalöses, empörendes Unrecht an Vielen geschieht, und vor den „maßgebenden Stellen“ die eindringliche Frage aufrichten, ob das wirklich sein muß.
Dies ist so ein Einzelfall.
Ein Luxemburger war in Deutschland als technischer Arbeiter beschäftigt und bei der Maschinenbau- und Kleinindustrie-Berufsgenossenschaft Sektion VI der Reichs-Unfallversicherung eingetragen.
Er verlor bei seiner Arbeit ein Auge und es wurde ihm eine Unfallrente für 25% Erwerbsbeschränkung zuerkannt. Natürlich in Papiermark. Er kam nachhaus und fand hier Beschäftigung. Da er sich nicht mit dem Gedanken vertraut machen konnte, daß in Deutschland eine mustergültige Arbeiterunfallversicherung besteht, daß er unter dieser Gesetzgebung ein Auge verloren und dafür einige wertlose Papierrechtecke erhalten soll, so wandte er sich um Aufwertung seiner Rente an eben die „zuständige Stelle“.
Darauf wurde ihm folgender Bescheid:
„Auf Ihr an unseren Genossenschafts-Vorstand in .......... gerichtetes und von diesem an uns zur Erledigung abgegebenes Schreiben vom 27. 2. 25 teilen wir Ihnen mit, daß Ihnen von unserer Berufsgenossenschaft eine Rente für 25% Erwerbsbeschränkung zuerkannt worden ist. Dieser Prozentsatz wird nach der ständigen Rechtsprechungspraxis des Reichsversicherungsamtes für den Verlust oder die Erblindung eines Auges nach eingetretener Gewöhnung gewährt. Infolge der Entfernung Ihres Auges würde sonach eine Erhöhung der Ihnen mit Bescheid vom 21. 8. 18 zuerkannten Rente nicht zu erfolgen haben.
„Gleichzeitig bemerken wir, daß eine Aufwertung der Renten bisher nicht erfolgt ist. Nach einer Verordnung des Reichsarbeitsministers vom 21. 3. 24 ist angeordnet, daß die nichtzulageberechtigten Unfallrenten, soweit sie vierteljährlich weniger als eine Billion Papiermark betragen, auf eine Billion = 1 RM aufgerundet werden.“
Indes scheint die „zuständige Stelle“ selber die Ironie dieses Entscheides herausgefühlt zu haben, denn sie fügt hinzu:
„Wir ersuchen Sie um Mitteilung, ob Sie die Anweisung von 1 RM vierteljährlich wünschen“.
Damit deutet sie an, wie begreiflich, ja wie selbstverständlich sie es fände, wenn dieser Rentenempfänger ihr antwortete, sie soll sich ihre Reichsmark vierteljährlich sauer zubereiten lassen.
Vielleicht weiß ein Leser Bescheid im deutschen Reichs-Unfallversicherungsunwesen von heute und sagt uns, ob solche Ungeheuerlichkeit zurzeit wirklich noch möglich ist.