Original

19. April 1925

Vor einigen Tagen stand hier zu lesen von einer ungeheuerlichen, obgleich amtlichen Nachwirkung der Kriegsmisere im Fall eines Luxemburgers, der als Ersatz für 25prozentige Erwerbseinbuße durch Verlust eines Auges vierteljährlich eine Reichsmark als Rente empfängt. Damit ist die Fiktion hergestellt, daß der Mann auf einen Totalverdienst von jährlich sechzehn Mark oder zirka achtzig Franken unserer Währung eingeschätzt wird.

Ein Gegenstück dazu, auf anderm Gebiet freilich, und anders herum, wird in französischen Blättern erzählt: Ein Fall, in dem ein schreiendes Unrecht, das der Kriegspsychose zur Last fällt, spät freilich, aber nicht ganz zu spät wieder gut gemacht wird.

Im September 1914 wurden im Dep. Aisne der Lehrer Copie und der Einnehmer (receveur buraliste) Mertz festgenommen und summarisch vom Leben zum Tode befördert, weil sie im Verdacht der Vaterlandsfeindlichkeit standen.

Der Fall interessiert uns besonders auch deshalb, weil Mertz geborener Luxemburger war.

Der Lehrer Copie wurde in Barenton-Bugny festgenommen, weil es schien, daß er sich gegen die Erfüllung seiner Militärdienstpflicht sträubte und weil er verdächtige Papiere bei sich trug. Mertz war durch einen anonymen Brief wegen angeblicher umstürzlerischer Äußerungen in Pierrepont-en-Lannois denunziert worden und wurde daraufhin ebenfalls verhaftet. Beide wurden einer Abteilung Feldpolizei übergeben, die vor dem dicht nachrückenden Feind in eiligem Rückzug begriffen war. Copie und Mertz weigerten sich mitzugehen. Ein Gendarm und ein Artillerist knallten mit ihren Revolvern den Lehrer Copie nieder, während Mertz auf Befehl des Offiziers der Abteilung, die ihn abführen wollte, erschossen wurde.

Die Anklagekammer des Appellhofes von Amiens wurde nun kürzlich durch den Justizminister auf Grund einer besondern Bestimmung des Amnestiegesetzes mit einem Antrag auf Rehabilitierung jener beiden Unglücklichen befaßt und der Appellhof von Amiens beschloß daraufhin: Daß Herr Copie ein ausgezeichneter Patriot war, dessen Gesundheitszustand es ihm unmöglich machte, sich gegen einen unbegründeten Verdacht zu wehren, daß seine Tötung eine bedauernswerte Handlung war, die sich aus den Zeitumständen erklären, aber nicht rechtfertigen läßt. Daß demnach Herr Copie rehabilitiert, und daß er für Frankreich gestorben ist.

In Sachen Mertz: Daß durch nichts sein Einvernehmen mit dem Feind bewiesen ist, und daß sein Körperzustand ihn daran hinderte, der Abteilung zu folgen; daß seine überstürzte Hinrichtung eine bedauernswerte Handlung ist, und daß sein Andenken rehabilitiert werden muß.

Das ist von dem Appellhof von Amiens und von dem französischen Justizminister besonders sehr nett. Hoffentlich bleibt er nicht dabei stehen. Man erinnert sich u. a. aus verschiedenen Debatten unserer Kammer, daß Landsleute von uns bei Ausbruch des Krieges in Frankreich als spionageverdächtige Preußenfreunde festgenommen und mißhandelt wurden. Sie sind zum Glück nicht alle so summarisch hingerichtet worden, wie die Herren Copie und Mertz, und da man drüben am Rehabilitieren ist, so würde es sich empfehlen, diejenigen, die eine solche Genugtuung verdienen, nicht erst zu rehabilitieren, wenn sie, tat sind und nichts mehr davon erfahren.

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