Original

22. April 1925

„Alberty, Mitarbeiter von Professor d’Aignan, Marseille, enttätowiert ohne Schmerz, ohne neuen Stich, in einer Sitzung.“

Diese Annonce, die in den letzten Tagen durch die Blätter ging, sagt Ihnen nichts, es müßte denn sein, daß Sie Mitglied des Lackklubs, Holzschnitter oder Karussellbeamter sind.

Nichtsdestoweniger: Für viele bringt diese Annonce die Erlösung von altem Fluch. Sie trieft von Symbolik. Sie löscht Jugendsünden aus, an denen ein Lebensglück zuschanden werden konnte, Jugendsünden, die in ihren Folgen schlimmer werden können, als heimliche Schande und heimliche Krankheit.

Gegen heimliche Krankheit gibt es Mittel, über heimliche Schande wächst Gras. Wieviele haben in ihrer Jugend gestohlen, sogar im Gefängnis gesessen und werden später Kommerzienrat und sterben als Ritter hoher Orden. Oscar Wilde hat in einem seiner besten Theaterstücke die Haupt- und Heldenrolle einem Manne zuerteilt, dessen Vermögen auf dem Verrat eines Staatsgeheimnisses aufgebaut ist und der später trotzdem Prime Minister wird, weil ihm Freundschaft und Liebe über den Schandfleck seiner Jugendjahre hinweghelfen. Hätte er sich, statt das Staatsgeheimnis zu verraten und Millionen damit zu verdienen, etwas Unanständiges auf den rechten Biceps tätowieren lassen, so wäre ihm, trotzdem er als unbescholtener junger Mann das Brautgemach betreten hätte, die Frau in der Hochzeitsnacht davongelaufen.

Denn über Menschenhaut wächst kein Gras.

Stellen Sie sich bitte vor, Sie hätten sich dereinst in ihrem jugendlichen Leichtsinn, in dem Alter, wo man heutzutage Bolschewik sein muß, auf den linken Arm ein pseildurchbohrtes Herz und auf den rechten Arm die Worte: Adele, ewig dein! mit roter Tinte tätowieren lassen. Später lernen Sie die kennen, von der Sie überzeugt sind, daß Sie nur mit ihr allein glücklich werden können: Wie stehen Sie da mit Ihrer unauslöschlichen Liebeserklärung an Adele, wenn die andere, die Einzige, nur Marie heißt!

Noch viel schlimmer wächst sich das Unheil aus, wenn sich zum Beispiel ein junges Mädchen die Symbole von Glaube Liebe Hoffnung: Kreuz, Herz und Anter auf einen Oberschenkel hat tätowieren lassen. Der Fall ist geschichtlich nachweisbar. Und diese soll dann später mit einem Gatten glücklich werden, der Wert darauf legt, daß er als Erster ihrer Oberschenkel ansichtig wurde!

Malen wir uns lieber nicht alle Möglichkeiten aus, die sich in Betracht menschlichen Verderbens aus der bisherigen Unlöschbarkeit der Tätowierung ergaben. Alberty, Mitarbeiter von Professor d’Aignan, Marseille, ist gekommen, um alle die zu erlösen, bei denen an diesem oder jenem mehr oder weniger sichtbaren Körperteil der Fluch einer unüberlegten Jugendtätowierung haftet. Ob er für seine Tätigkeit ein weites Feld findet, mag dahingestellt bleiben.

Man läßt sich hier im allgemeinen weniger tätowieren, als in Marseille, der Heimat des Professor d’Aignan.

Leider gibt es Tätowierungen, die tiefer sitzen und denen weder Alberty noch sein Professor beikommen.

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KatalognummerBW-AK-013-2896