Heutzutage gelten in einem Kulturstaat Zigeunertum und Bettelei als unzeitgemäße Schönheitsfehler. Der Bürger von heute hat einfach ansässig zu sein und auf Almosen zu verzichten. Das heißt, Almosen, die er seinen Mitbürgern im Herumziehen abbettelt.
Indes Bettelei und Zigeunertum sind aus unserm Straßenbild nicht ganz verschwunden. Auch heute noch kann es Dir passieren, daß Du von einem Menschen angetreten wirst, der Dir durch Überredung einen bestimmten Geldbetrag ablocken will und von dem es im Übrigen nicht feststeht, ob und wo er einen festen Wohnsitz hat, der manchmal eine Sprache spricht, die stark an das Kauderwelsch der Zigeuner erinnert.
Zu dieser Kategorie gehören im Besondern die exotischen fliegenden Teppichhändler, eine interessante Abart der Spezies Hausierer. Sie durchziehen die Straßen der äußeren Stadtviertel, wo sie weniger der Gefahr ausgesetzt sind, einem Polizisten in die Hände zu laufen, treiben sich bis spät nachts in den Lokalen herum, die sie noch offen finden, und suchen Ziegenfelle, die vermittels naiver Färbungskunststücke die Felle von Leoparden und Panthern vortäuschen wollen, gegen fabelhafte Summen loszuschlagen. Trotzdem nie jemand sieht, daß sie wirklich eines ihrer Felle an den Mann bringen, leben sie von ihrem Gewerb. Es muß also doch wohl Leute geben, die von dem Ehrgeiz geplagt sind, die Haut eines Jaguars über das Sofa ihrer guten Stube zu breiten und sich später vorreden, sie hätten einem Araber das Fell eines wilden Tieres abgekauft, das er selber in der Wüste Sahara erlegt hatte, und er hätte es ihnen zu einem Spottpreis abgelassen, weil er in Not war und sich nach seiner sonnigen Heimat sehnte und das Reisegeld aufbringen mußte.
Für die meisten von uns - wenn wir nicht grade Polizeikommissar oder Pelzwarenhändler sind - bleiben diese Exoten mit der haarigen Last über der linken Schulter menschliche Rätsel. Wir wissen nicht, von woher sie kommen, auf einmal tauchen sie aus dunkeln Tiefen einer verworrenen Fremde auf und stehen in unserm Zimmer vor uns und fragen, ob wir ihnen nichts abkaufen wollen. Eine Dame meiner Bekanntschaft hatte sich dieser Tage nach Tisch zu einem kleinen Nickerchen in die Sofaecke gedrückt, als sie plötzlich von schweren Männerschritten im Hausgang wach wurde. Im nächsten Augenblick ging die Türe auf und herein trat ein baumlanger Kerl mit seinen gefärbten Ziegenfellen auf der Schulter und fragte, ob man ihm nichts abkaufen wolle. Die Dame, die allein zuhause war, kämpfte gegen eine Ohnmacht, drängte den Fremdling zitternd und bebend zur Haustüre hinaus und schloß hinter ihm ab. Er war durchs offene Gartentor herein und ums Haus gegangen, wo die Küchentür offen stand. Von da hatte er ungeniert seinen Geschäftsgang durch die Zimmer angetreten.
Er war offenbar ein gutmütiger Mensch, auf den die wilde Natur der Tiere, von denen seine Felle angeblich stammten, nicht abgefärbt hatte.
Es hätte aber auch anders ablaufen können.