Ach ja, Gnädigste, Sie haben tausendmal recht: Wir müßten unbedingt unsern Kühen Glocken anhängen.
Wir reden aufgeblasen von unserer luxemburger Schweiz und haben keine Ahnung, daß ihr die Hauptsache fehlt. Allerdings fehlt ihr alles zu einer Schweiz, sogar zu einer kleinen, und da muß die Hauptsache ja auch dabei sein, aber trotzdem: Die Hauptsache bleibt eben die Hauptsache, und die ist in diesem Fall die Kuhglocke.
Die hohen Schneeberge machen es nicht, auch nicht die Gletscher. Mit einem Eiger und Mönch und einer Jungfrau macht man keine Schweiz, und wenn es ein ganzer Jungfrauenverein wäre. Es gehört die Stimmung dazu, und merkwürdigerweise ist das Auge am wenigsten geeignet, Stimmungen zu vermitteln. Eindrücke, jawohl, aber nicht deren Duft, den man Stimmung nennt.
Das tut die Nase, die verschrieene Nase, und das tut auch das Ohr. Ich hörte einmal auf weiter Flur zwischen Contern und Itzig die Kühe von Scheidhof mit ihren Glocken von ferne läuten und fühlte mich sofort nach Wengernalp versetzt oder an den Fuß des Karwendel. Und ich vermeinte die Oboe zu hören, die die Ouvertüre zu „Wilhelm Tell“ anfängt. Der Schrei eines Camelots, der den „Soir“ ausruft, ein paar Hupentöne, die sich gleich Schwalben jagen, das Pfeifen eines Trambahnwagens um die nächste Ecke oder sonst eines dieser charakteristischen Großstadtgeräusche zaubert Ihnen ein Bild des Pariser Opernplatzes viel treuer vor das geistige Auge, als die beste Photographie.
Wenn wir also Anspruch darauf erheben, in die Fußstapfen der Schweiz zu treten - um ein sehr kühnes Bild zu gebrauchen - so müssen wir mit Tönen Stimmung machen und unsern Kühen Glocken anhängen. Ein Freund von mir hat einen Hof mitten in einem großen Gelände mit Wald und Wiese, bergauf bergab. Man sieht durchs Fenster die Simmentaler Kühe auf der Wiese grasen, es macht sich äußerst malerisch und voralpin. Um wieviel stärker wäre die Stimmung, wenn jede Kuh am Hals eine Glocke trüge, deren melodisches Läuten, durch die Ferne noch melodischer gemacht, das Tal füllte!
Ich gehe sogar weiter, Gnädigste, und füge zu den Kuhglocken das Alphorn. Wie? Wäre es nicht bezaubernd, wenn von den Höhen der Nommerer Leien zum Beispiel jedes Mal, wo ein Zug auf Station Nommern einläuft, ein Knabe das Alphorn bliese? Es bräuchte nicht grade, wie im Lied, ein Knabe zu sein. Mein alter Freund Herr Abbé Petry nimmt vielleicht eines Tages seinen Abschied und zieht sich nach seiner Heimat Nommern zurück. Warum sollte er nicht Alphorn lernen und seinen Lebensabend mit Musik vergolden, indem er zugleich für Nommern und seine malerische Umgebung Propaganda machte?
Ich bin sofort bereit, einem zu bildenden Luxemburger Kuhglocken- und Alphorn-Nationalverein als Ehrenmitglied und Gönner beizutreten.
Und im weitern Verfolg der Idee kämen wir vielleicht sogar dazu, eine Art Kuhglockenverein für Menschen einzurichten. Jeder bekäme die Glocke angehängt, deren Klang seinem Wesen und Charakter entspricht. Die Graphologie, aus der wir heute den Charakter unserer Mitbürger zu entziffern suchen, wäre überflüssig. Wir könnten frei nach Schiller sagen: Den roten Lehmann kenn ich am Geläut. Und damit hätten wir den Grund zu einer neuen NationalIndustrie, der Glockengießerei, gelegt.
Sehen Sie, Gnädigste, wie sich das Senfkörnlein Ihres Vorschlags zu einem Riesenbaum auswachsen kann. Und Sie müssen mir gestatten, daß ich Sie im Geist schon mit einem feinen Silberglöckchen am Hals in Ihren Gemächern herumgehen höre. Wird die Glocke übrigens am Hals oder am Gürtel zu tragen sein? Oder wo? Herrgott! Da bin ich in die Toilettefrage geraten. Verzeihen Sie, ich tu’s nie wieder. Empfehle mich, küß die Hand, Gnädigste. Aber das mit den Glocken, M. W., unbedingt!