Es wird die Leser freuen, an dieser Stelle zur Abwechslung einmal ein paar Lesefrüchte aus dem Garten Anatole France’s zu finden. Sie stammen aus der deutschen Ausgabe, die der Musarion-Verlag in München von „den nützlichen und erbaulichen Meinungen des Herrn Abbé Jérôme Coignard“ veröffentlicht hat:
„Das neue Ministerium. Was mich betrifft, so kümmere ich mich wenig um die Vorgänge in den Kabinetten, denn ich habe bemerkt, daß die Lebensgestaltung dadurch nicht verändert wird, und daß die Menschen vor wie nach den Reformen selbstsüchtig, geizig, feig und grausam und abwechselnd stumpf oder wütend sind, und daß die Zahl der Geburten, Eheschließungen, Ehebrüche und Hinrichtungen sich wenig verändert, worin sich die schöne Ordnung der Gesellschaft erweist. Diese Ordnung ist beständig und läßt sich durch nichts stören, denn sie beruht auf dem Elend und der Dummheit der Menschen, und diese Grundlagen werden nie erschüttert werden. Durch sie erhält der Gesellschaftsbau eine Festigkeit, welche dem Wüten der ärgsten Fürsten und dem ganzen Schwarm unwissender Beamten, die ihnen als Handlanger dienen, Widerstand leistet.
Der Staat gleicht dem menschlichen Körper. Nicht alle seine Verrichtungen sind edel. Daher muß der Mensch auch manche darunter verbergen, sogar die allernotwendigsten.
In einer Demokratie ist das Volk seinem eigenen Willen unterworfen, und das ist eine harte Knechtschaft. In der Tat ist ihm sein eigner Wille ebenso fremd und zuwider wie der des Fürsten. Denn der Wille der Gesamtheit ist im einzelnen Menschen wenig oder garnicht vorhanden, und doch muß sich der Einzelne seinem Zwange voll und ganz fügen.
Staatsmänner. Wenn man es unternimmt, die Menschen zu lenken, so darf man nicht aus den Augen verlieren, daß sie boshafte Affen sind. Nur unter dieser Bedingung ist man ein menschlicher und wohlwollender Politiker. Der Wahnsinn der Revolution (von 1789) bestand darin, daß sie die Tugend auf Erden begründen wollte. Wenn man die Menschen gut und weise, frei, maßvoll und hochherzig machen will, so kommt man notwendigerweise dahin, sie alle zu töten. Robespierre glaubte an die Tugend: er führte die Schreckensherrschaft ein. Marat glaubte an die Gerechtigkeit: er forderte zweihunderttausend Köpfe. Von allen Geistern des 18. Jahrhunderts ist der Abbé Coignard vielleicht der, dessen Grundsätze der Revolution am meisten zuwiderlaufen. Er hätte keine Zeile von der Erklärung der Menschenrechte geschrieben, und zwar wegen der übertriebenen und ungerechten Trennung, die darin zwischen dem Menschen und dem Gorilla vollzogen wird.
Die Opposition ist eine sehr schlechte Schule für die Regierung und die Politiker, die sich auf diesem Wege durchsetzen, regieren, wenn sie klug sind, wohlweislich mit dem genauen Gegenteil der Grundsätze, die sie früher vertraten. Die selben Notwendigkeiten, denen ihre Vorgänger sich fügten, leiten auch sie. Und das einzig Neue, das sie mitbringen, ist ihre Unerfahrenheit.
Die Regierungen sind wie die Weine, die mit der Zeit milder und klarer werden. Auch die strengsten verlieren auf die Dauer etwas von ihrer Härte. Ich fürchte einen Staat in seiner ersten Jugendkraft. Ich fürchte die herbe Neuheit einer Republik. Und da man nun doch einmal schlecht regiert wird, so ziehe ich solche Minister und Fürsten vor, deren erster Eifer erlahmt ist.“