Original

14. Mai 1925

Exposition Internationale des Arts décoratifs et industriels - so heißt das Ereignis des Jahres.

Wir geben uns hier nicht genügend Rechenschaft von der Tatsache, daß sich in den kommenden Monaten in Paris eine Umstellung vollzieht, die auch unsere Lebensformen zu tiefst beeinflussen wird. Wir schwingen in allen Dingen des Geschmacks seit undenklichen Zeiten in der Einflußsphäre Frankreichs und es darf uns nicht gleichgültig sein, welche Wege die französische Kunst in ihrer Anwendung auf den Rahmen unseres Daseins sich zu wandeln anschickt.

Nicht jeder kann nach Paris fahren, um sich die Ausstellung anzusehen. Aber es gibt einen brauchbaren Ersatz für den persönlichen Besuch. Wieder ist es die «Illustration», die in wirklich vorbildlicher Weise expansionistisch wirkt und jedem Auswärtigen ermöglicht, sich von der Ausstellung und ihrem Sinn und Zweck ein möglichst getreues Bild zu machen.

Alle diese farbigen Abbildungen reden eine deutliche und eindringliche Sprache. Das französische Stilempfinden, soweit es bahnbrechend in dieser Ausstellung zum Ausdruck kommt, hat mit den alten Königsstilen abgeschlossen und drängt inbrünstig in die Gegenwart. Einfachheit, Gradheit der Linien ist Trumpf. Es ist, als träte ein Cavalier vom Hofe Heinrich IV. in modernem Sacco-Anzug mit scharfen Bügelfalten uns entgegen. Man ist sich bewußt, daß es ums Ganze geht. Eine kurze redaktionelle Einführung der «Illustration» enthält die Stelle: „.... cette très importante manifestation où l’art moderne engage la bataille définitive.“

Mit welcher Wucht die Reaktion eingesetzt hat, offenbart blitzlichtartig ein hanebüchener Satz aus einem Aufsatz von Paul Géraldy über «L’architecture vivante». Er schreibt: „Nos parents ont sali la vie, gåté la France. Nos plus belles côtes, nos plages, la Riviera, Biarritz, sont déshonorés par leurs villas affreuses, leur prétentieuse et puérile architecture de carte postale. ... Nos enfants du moins vivront dans de la beauté.“

In demselben Aufsatz beweist Géraldy, daß er und seine Mitstrebenden die Architektur aus dem Wesen der Zeit begreifen und sie diesem Wesen anpassen wollen. Sie haben endlich verstanden, daß das Haus im Grund eine erweiterte Kleidung ist und in seinen Formen die Zweckmäßigkeit und Einfachheit zum Ausdruck bringen muß, die bei unserer Kleidung von heute maßgebend sind.

„Le style moderne - schreibt Géraldy - ressemble à ce que nous sommes. .... Il correspond à nos mœurs, il satisfait à nos besoins. Il est l’image de notre esprit, de notre culture. Il est moderne au même titre que nous mêmes, il est vivant! .... Un véritable architecte cherche tout bonnement la solution la plus simple et la plus logique. C’est toujours la plus élégante. .... La logique est le seul dieu des architectes.“

Mit den Ausschreitungen des Jugendstils und des Kubismus rechnet Géraldy kurzerhand ab. Er weiß den französischen Geschmack dagegen gefeit durch das angeborene Bedürfnis zum Maßhalten - „la mesure dont nous, Français, qui contenons vingt siècles de civilisation, ne pouvons nous passer sans malaise“.

Es lag nahe, daß den Franzosen der neue Stil dadurch mundgerecht gemacht wurde, daß seine Tributpflichtigkeit dem deutschen Geschmack gegenüber bestritten wurde. Tatsächlich sperrte sich die öffentliche Meinung in Frankreich stets gegen die modernen, einfachen Formen in Bau und Möbel, weil sie am massenhaftigsten von Deutschland aus ihren Weg hinaus gefunden hatten. Yvanhoë Rambosson räumt mit dieesr Fiktion gründlich auf, indem er von 1850 an die Evolution in Kunsthandwerk, Architektur und Möbelfabrikation aus ganz andern, als deutschen Ursprüngen und Anregungen nachweist. Indes, alle derartigen kultur- und kunstgeschichtlichen Exkurse werden die Käufermassen nicht zum Stil unserer Zeit bekehren, wenn sie nicht vom Geist der Zeit erfüllt sind. Und dieser Geist ist international, das ist, zum Glück, seine stärkste Signatur. Er schafft auch dem äußern Leben seinen Rahmen, den künstlerischen Ausdruck, der allerdings durch den Kulturgrad eines Volkes beeinflußt wird - „expression artistique qui réflète bien la pensée de notre époque, mais encore dans les nuances que peut y apporter notre tempérament régional.“

Das Heft der «Illustration» enthält weitere wertvolle Beiträge von Raymond Escholier, der in bezug auf die neue Richtung der großen Möbelschreinereien im Faubourg St. Antoine von einem «fait nouveau» spricht, von Léandre Vaillat, der über Rippsachen und Bibelots anregend plaudert und in aggressiver Weise dem Geschmack für Fabrikware zuleibe rückt.

Jeder, der sich für Kulturformen und ihre Entwicklung interessiert, sollte sich dieses Heft kaufen, denn es ist ein kostbares Dokument einer Zeitwende, die ganz sicher auch uns in unserm engen Kreis berühren und umorientieren wird.

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    Katalognummer BW-AK-013-2914