Er glich den Lilien des Feldes nur zu 50 Prozent. Er säte nicht und erntete nicht, aber er war keineswegs schöner gekleidet, als Salomon in all seiner Pracht und Herrlichkeit. Dagegen verließ er sich hinwiederum auf den himmlischen Vater in allem, was zu des Leibes Notdurft erfordert war, und er lebte anscheinend nicht schlecht.
Ich schloß das aus seinem Aussehen. Verstellung war ausgeschlossen. Denn er schlief, so tief, daß der brausende Verkehr des Tages mit keinem Laut bis in den glückseligen Abgrund seines Schlafes drang.
Er lag längelang ausgestreckt auf einer Bank an der Monterey-Avenue, im Schatten der Kastanienbäume, die die Feder der Bauverwaltung und die Axt der Holzhauer verschont hat. Aus den Spitzen seiner abgelaufenen Schuhe lugten diskret ein paar Zehen, sein Hut hatte die Farbe der Straßen im Märzwind, seine Hosen warfen Korkzieherfalten fast so schön wie die an den Hosen des letzten Königs von Bayern. Eine Hand lag friedlich gelöst auf dem Magen, die andere hatte er als Kopfkissen unter den Nacken geschoben. Er lag auf dem Rücken, ein Bild des Friedens, mitten im Hin und Her eines sonnigen Werktagsvormittags, dicht an der Straße, auf der es sich von Fußgängern, Wagen, Elektrischen, Autos und allem, was da fleucht und kreucht, durcheinanderschob. Und in seinen Zügen war ein Ausdruck unbeschreiblichen Wohlseins. Es war das Gesicht eines wohlgenährten Mannes in den besten Jahren. Frisch rasiert und frisiert, in Claque und Frack hätte er als notleidender Agrarier oder amerikanischer Petroleumkönig gehen können. Sein Gesicht verkündete in sanften Akkorden: Ich habe satt gegessen u. getrunken, jetzt schlafe ich mich aus, was liegt mir an gestern, heute und morgen, ich stehe über der Welt! Und zu diesen Worten paßte vorzüglich ein Beiklang leisen Spottes und gutmütiger Überlegenheit in seinen Zügen.
Er verdient, als König der luxemburger Tramps gekrönt zu werden. Tramp ist ein wunderbares Wort für das, was hier Landstreicher heißt. Tramp ist mehr, es ist die Weite der amerikanischen Prärie darin, und das Dröhnen der Züge, die quer durch die Staaten von Ozean zu Ozean rollen. Dort ist der Tramp ein Künstler, hier ist er noch Dilettant. Tramp sein ist drüben ein Beruf, hier die Abwesenheit jeden Berufes.
In dem humoristischen Roman „Bealby“ von H. G. Wells kommt ein englischer Tramp vor, der sozusagen der Pädagoge seines Berufs ist. Er entwickelt seine Lebensauffassung theoretisch und praktisch. Man glaubt ein Kapitel aus Karl May zu lesen. Und er trägt ein Stück Seife nach, nicht um sich zu waschen, Gott bewahre, sondern um in seiner Mundhöhle den Schaum zu erzeugen, mit dem er Fallsucht simuliert und den Leuten eine kleine Beisteuer entlockt.
Zu dieser Art gehört unser Tramp nicht. Er ist auch ein Philosoph, aber ein gutmütiger. Er legt sich an den Rand des Weges schlafen und predigt im Schlaf seinen Mitmenschen den Glauben an Leben und Menschheit und die Eitelkeit alles Irdischen, das Glück im Nichtstun und Nichtshaben. Er war sicher bei den Chinesen in der Schule.