„Diele“ und „Stube“ haben nach dem Krieg Carriere gemacht. Es ist Rückkehr zu den Quellen. Sogar hier in Luxemburg hat die „Stuff“ eingeschlagen, freilich auf einem materielleren Gebiet, als jenem, in das diese Zeilen verweisen wollen.
In Wiesbaden hat sich neben dem Museum eine Buchhandlung aufgetan, nennt sich „Bücherstube am Museum“ und gibt Monatshefte als „Blätter der Bücherstube am Museum“ heraus, in denen Hermann Kempf und Dr. H. W. Eppelsheimer Kritik und Reklame in anziehender Weise verbinden.
Das Aprilheft enthält als Lockspeise für Felix Salten’s Buch (Geister der Zeit, Erlebnisse, Berlin: Paul Zsolnay, geb. Mk. 6.50) folgende amüsante Ibsen-Anekdote, die am Eingang des Buches steht:
„Felix Salten erzählt: Wir stehen im Vorzimmer des schönen Restaurants und warten auf Henrik Ibsen Drüben, im Burgtheater, ist die Première des „Kronprätendenten“ vorüber und der Dichter wird nun hierher kommen, zu dem Festmahl, das wir ihm zu Ehren veranstalten.
Seit jenem Abend sind viele Jahre vergangen; dennoch habe ich alles so leibhaftig vor Augen, als sei das erst gestern gewesen.
Drinnen rauscht der Saal vom Wirrsal der Gespräche, von Lachen, Rufen, Gläserklingen. Und wir warten hier draußen des geliebten verehrten Mannes, der zum erstenmal in Wien Huldigung und Gruß empfangen soll. Wir sind drei blutjunge Menschen, die als Präsidium der Wiener „Freien Bühne“ auftreten. Unser Führer ist der reizende elegante E. M. Kafka, der Herausgeber der Monatsschrift „Die moderne Dichtung“, in der so ziemlich alle an die Öffentlichkeit traten, die nachher zu Ansehen gelangt sind, Schnitzler, Hermann Bahr und die übrigen. E. M. Kafka wird also jetzt die erste Ansprache an Ibsen richten. Nur ein paar Worte. Zum Empfang. Der arme Kafka, der an Lungenschwindsucht leidet, und dem beständig die Fieberrosen auf den Wangen brennen, glüht jetzt, mehr noch als sonst, vor Aufregung. Wir drei sind alle so heftig erregt, wie nur junge Menschen in einem Augenblick erregt sein können, in dem sie den geliebtesten, aufs höchste bewunderten Meister sehen und sprechen dürfen.
Endlich fährt draußen der Wagen vor; endlich sehen wir durch die Glastüre die ersehnte kleine Gestalt. Langsam kommt Ibsen herein, mit schweren, aber zierlich bewußten Schritten. Breitschultrig, kurz, stämmig und gedrungen sieht er aus; der verkörperte Protest, Revolution im Bratenrock, beständige Kampfbereitschaft. Wir glauben zu sehen, daß ihn Schimpf und Ruhm umwittern, daß er unberührt von beiden geblieben und einzig erfüllt ist von seinem Werk. Mit einem Wort, er sieht aus wie alles, was wir jungen Menschen damals so heiß bewunderten. Sein Gesicht gleicht dem Kopf eines Monumentes. Scharfe, spitze Klarheit der Züge; gebunden durch einen ungeheueren Willen zu fast bewegungsloser Starre; erleuchtet vom hellen, kühlen Klugheitsblicke der Augen, umlodert von den weißen Flammen der Haare und des Backenbartes. Die Oberlippe rasiert, sodaß der Mund mit seiner prachtvoll modellierten, dünnen Schweigsamkeitslinie frei und einprägsam dem Anblick entgegenruht. Jetzt also ist der große Moment da. Kafka wird ganz blaß, da er aus der tiefen Verbeugung auftaucht und zu sprechen anfängt: „Hochverehrter Meister ...!“ Oder so ähnlich. Aber Henrik Ibsen hebt abwehrend die Hand, unterbricht den Redner und sagt ganz ruhig, ganz leise mit einer dünnen, gläsernen klaren Stimme: „Eine Sekunde, wenn ich bitten darf!“ Sofort verstummt Kafka erschrocken; sein hübsches Knabengesicht bekommt einen hilflosen Ausdruck und niemand von uns dreien wagt es, sich zu rühren.
Indessen holt Henrik Ibsen aus seiner hinteren Rocktasche ein großes, blaues Sacktuch hervor und reibt damit sein Gesicht, scheuert die mächtige Stirne umständlich blank, Dann versorgt er das Tuch in aller Ruhe wieder an den bestimmten Platz, greift in die Brusttasche, zieht einen riesigen Kamm heraus, hält sich den Zylinderhut vor die Augen, beguckt sich aufmerksam und ernsthaft in dem Spiegel, der inwendig im Zylinderhut befestigt ist. Und nun fängt er an, mit dem Kamm das Haupthaar so lange zu dressieren, bis es genau so steil emporlodert, den Backenbart zu bearbeiten, bis er genau so vom Gesicht wegflammt, wie das auf den Photobildern Ibsens immer zu sehen war.
Verdutzt stehen wir dabei, schauen ihm voll Verblüffung zu, und Max Burckhardt, der damals Direktor des Burgtheaters war, und der Henrik Ibsen hergebracht hat, schmunzelt sein fröhliches, spitzbübisches Lächeln. Dann ist Ibsen fertig, rückt in Positur und sagt, ohne die geringste Befangenheit: „Bitte - jetzt!““