Auf einem der einsamsten Parkwege begegnete ich gestern Herrn Grimberger. Ich wage kaum noch, ihn meinen Freund zu nennen, nach der Art und Weise, wie er mich gestern behandelt hat.
Er sah nicht sehr gut aus, das muß ich zugeben. Er war offensichtlich schlecht durch den Winter gekommen. Er war blaß, von jener Stubenblässe, die in der Maisonne fast grau erscheint. Von seinen Nasenflügeln nach den Mundwinkeln herunter zogen sich die Zwillingsfalten, die auf einen schwerfälligen Verdauungstraktus deuten.
„Guten Tag, Herr Grimberger!“ begrüßte ich ihn. Ich legte dabei in meinen Gruß einen Ton, von dem ich annahm, daß er den alten Herrn in eine gute Laune gleichsam hineindrängen würde.
Das geschah leider nicht. Er sah mich mißbilligend von der Seite an, ließ seinen Blick langsam von meinen Schuhen herauf an der ganzen Gestalt aufwärts gleiten und längere Zeit an meinem Gesicht haften, ehe er verbittert und vorwurfsvoll sagte:
„Sie sehen ja aus wie’s Leben.“
Als ob ich dafür verantwortlich wäre!
Aber ich trug ihm seine Mißgunst keineswegs nach. Ich war in dem Moment nur darauf bedacht, ihn nicht zu kränken. Ich fand nichts Besseres, als ihm über sein Aussehen Komplimente zu machen.
„Aber Herr Grimberger, beklagen Sie sich doch nicht. Wer in Ihrem Alter noch so aussieht, darf sich zu seiner Gesundheit Glück wünschen.“
„Sie wollen mich uzen! In meinem Alter! Sie scheinen nicht zu wissen, wie alt ich bin! Ich bin keine fünf Jahre älter, als Sie, Herr! Jawohl! Und da sollte ich wohl, wenn es nach Ihnen ginge, in einem Wägelchen herumgefahren werden mit Gummi-Unterwäsche!“
„Ich habe doch genau das Gegenteil gesagt.“
„O ja! Man merkt die Absicht und man wird verstimmt. Glauben Sie, ich habe keinen Spiegel zuhaus? Bilden Sie sich ein, ich gebe mir nicht genau Rechenschaft über meinen Zustand? Nein, Herr, ich sehe nicht gut, ich sehe sogar schlecht aus. Wenn Sie gerecht wären, müßten Sie das unumwunden anerkennen. Man hat nicht sechs Wochen lang Stubenarrest, damit einem die Leute nachher ins Gesicht lügen: Nein, wie Sie so blühend aussehen! Wenn man so lange leidend war, will man etwas davon haben, verstehen Sie mich!“
Damit drehte er mir den Rücken und ging hoch erhobenen Hauptes davon.
Eine Stunde später traf ich einen Bekannten, der mir aufgeregt erzählte:
„Also stell dir das bitte vor! Dieser Grimberger! Ich begegne ihm vorhin im Park, er sieht aus wie der leibhaftige Aschermittwoch und ich kann mich nicht enthalten, zu fragen:
„Waren Sie krank, Herr Grimberger?“
„Wieso krank?“
„Sie sehen ein wenig angegriffen aus.“
Da fuhr er mich an: „Was, wie, angegriffen! Sagen Sie doch gleich, ich bin ein Vogel für die Katz, ein Skelett, ein Jammergestell! Kilmmern Sie sich gefälligst um Ihr eigenes Aussehen, Herr! Sie sind auch kein Adonis, wenn Sie sich das etwa einbilden!“ Und so weiter, mit funkelnden Wut-Augen.“
„Ja - sagte ich - es ist nicht leicht, es diesem Grimberger recht machen!“