Unser Land ist schön. Es ist sogar noch viel schöner, als wir glauben und wissen.
Zu den landschaftlichen Perlen unseres Landes gehört Vianden. Das wissen wir und viele Fremde, und seit Victor Hugo dort an der Brücke das malerische Haus bewohnte, ist Vianden sozusagen in den eisernen Bestand der berühmten Sehenswürdigkeiten unserer Ardennen aufgenommen.
Es gab aber schon vor Victor Hugo Leute, die auf der Suche nach einem Vollklang landschaftlicher Schönheit bei Vianden Halt machten. Das war zur Zeit, wo die Kamera noch nicht jeden schönen Punkt als Gemeingut der ganzen Welt schenkte, wo nur die Maler diese Schätze sammelten und denen, die daheim bleiben mußten, den Mund damit wässern machten. Und die nahmen nicht mit der einfachen Weise vorlieb, die ihnen die Natur, wenn man so sagen darf, vorsang. Sie komponierten dazu aus ihrem gottbegnadeten Augenmenschtum eine Begleitung von Farbe und Licht, also daß die einfache Weise in vollen Akkorden rauschte.
Das fällt einem auf, wenn man im Schaufenster Wierschem ein Bild betrachtet, das seit einigen Tagen dort ausgestellt ist: «Paysage en Ardennes (Château de Vianden) 1818. Près de la route de Putscheid. van Regemorter.»
Ein hiesiger Sammler hat das Bild in Brüssel entdeckt und sich eine vorzügliche Copie davon anfertigen lassen. Der Maler hat die Landschaft nach dem Geschmack der Zeit inszeniert. Links oben auf der Anhöhe liegt das Schloß, unversehrt, mit ganzen Mauern und Dächern, ein schalkhaftes Dementi für die Rekonstruierungsversuche unserer Phantasie. Weitschichtig breitet sich die Tallandschaft unten aus, mit bescheidener Staffage von ein paar Menschlein und Kühen, Bäumen, Rasenhängen, einem Wässerchen, dunstig blauer, reich gegliederter Ferne. Die Wolken sind balladenhaft, abenteuerlich vielfältig in Licht und Schatten, die Sonne fällt von rechts oben herein und taucht das Land in eine Beleuchtung, die ihm ein zauberhaftes Leben verleiht. Die Stimmung ist von so ergreifender Unmittelbarkeit, daß man jeden Augenblick fürchtet, jetzt gleitet eine Wolke vor die Sonne und macht dem goldigen Zauber ein Ende.
Niemand von uns hat je gedacht, daß es auf der Straße von Putscheid nach Vianden überhaupt einmal so schön gewesen sein könnte. Und man wird sich bewußt, daß es mit der Malerei doch eine Sache für sich sein muß, daß die Photographie uns wohl über die Dinge die Wahrheit sagt, daß aber den Malern das Verdienst gebührt, uns die geheimen Wege zu weisen, die ins Dornröschenschloß der Schönheit führen.
Kurz nachdem dies Bild gemalt war, verfiel Schloß Vianden dem Abbruch. Uns ist die Ruine das immer Gewesene, das Definitive, hier steht plötzlich ein Stück geschichtliche Erscheinung vor uns wie ein Auferstandenes, als reichten wir mit ehrfürchtigen Händen dicht an die Vergangenheit, die wir immer nur erraten konnten. Dies Bild ist ein Schatz, und solcher Schätze gibt es zweifellos noch ungeahnt viele in den Landen, deren Schicksale wir früher teilten. Heute kommen die Belgier zu Hunderten in ihren Automobilen, um Forellen und Krebse am Fuß der Schlösser und am Ufer der Wasser zu essen, zu denen vor hundert Jahren ihre Maler mühsam pilgerten, um Schönheitsoffenbarungen auf der Leinwand heimzutragen. Wir sollten ausgiebiger die Gelegenheit benützen, wo die Grenzschlagbäume nach Belgien verschwunden sind, um in dortigen Museen und Sammlungen nach solchen kostbaren Zeugen unserer Vergangenheit zu forschen. Das Bild von van Regemorter ist dazu eine mächtige Anregung.