Original

27. Mai 1925

Du wunderst Dich, wenn aus einem Felsspalt beispielsweise eine Esche wächst, trotzdem sie niemand hingepflanzt hat und trotzdem in weitem Umkreis keine Esche zu finden ist - oder wenn in Deinem Garten trotz sorgfältigen Jätens immer wieder Unkraut ausgeht.

Du wunderst Dich nicht minder, wenn Du in einem verlorenen öslinger Dorf einkehrst und siehst auf dem Gestell hinter dem Schanktisch die exotischsten Liköre aufgebaut: Byrrh, Porto, Madeira, Cordial-Medoc usw., und Schnäpse, die auf die Namen von Fürstlichkeiten und Berühmtheiten getauft sind.

Wie der Wind die Samenkörner über Land trägt und an den merkwürdigsten Orten absetzt, so trägt der Likör-Reisende seine Ware bis in die verborgensten Winkel, wo noch Menschen wohnen, die von Zeit zu Zeit Bauchgrimmen bekommen und den Glauben hegen, daß ihnen ein Gläschen von dem fremden Trank gut tun werde. Manche warten auch nicht, bis sie Bauchgrimmen bekommen.

Diese Befruchtung des flachen Landes mit Schnaps und Likör ist ein Gewerbe eigener Art. Ein Reisender dieser Branche verkörpert in sich den Widerspruch, daß er sich viel Mühe gibt und doch wenig arbeitet. Sie haben alle von ihrer Beschäftigung her einen besondern Humor und sind zu allerhand Streichen aufgelegt. Ein Veteran der Likör-Kreuz- und Querzüge erzählte mir gestern einen davon.

Er hatte sich mit einem Kollegen von der Konkurrenz brüderlich ins Ösling geteilt. Der eine verkaufte sagen wir mal Vermouth, der andere Porto und sie hatten sich zugesagt, daß keiner dem andern ins Gehege käme. Gewöhnlich trafen sie sich zu den Mahlzeiten, aber es kam auch vor, daß die Verpflegung versagte, und für diese Fälle führte der „Porto“ ein Fläschchen mit Maggi bei sich, um wenigstens einer guten Suppe sicher zu sein. (Eben fällt mir ein: Hat er mir die Geschichte nicht bloß erzählt, um für Maggi Reklame zu machen?) Kurzum, sie traffen sich zu Mittag in einem kleinen Wirtshaus, wo der Begriff Table d’hôte völlig unbekannt und der Küchenfchrank leer war. Der „Porto“ indes war guten Muts. Er ließ sich von der Frau Wirtin ein Bündel Suppenkräuter, Petersilie, Lauch, Porree, eine gelbe Rübe und dergl. aus dem Gärtchen bringen. Dann bat er seinen Kollegen, aus dem nahen Bach eine Handvoll Kieselsteine zu holen, möglichst dunkel in der Farbe und länglich rund.

Die Frau sah mit großen Augen zu, wie der Herr aus der Stadt die Kieselsteine sorgfältig abwischte und sie einen nach dem andern behutsam in den Topf tat, in dem das Suppengemüse inzwischen am Kochen war. Sie schüttelte den Kopf und sagte mit skeptischem Lächeln: Das wird mir etwas Leckeres werden.

Der „Porto“ versuchte ein paarmal mit dem Löffel und sagte: „Jetzt kommt es allmählich. Holen Sie mir noch eine Zehe Knoblauch, bitte, die fehlt noch Geschmack.“ Und während die Frau nach dem Knoblauch ging, leerte er heimlich sein Fläschchen Maggi zur Hälfte in den Topf.

Der Rest ist leicht zu erraten. Die Frau schlug über die köstliche Suppe die Hände überm Kopf zusammen der fremde Herr mußte ihr ganz genau sagen, wieviel von allem in das kochende Wasser kam, und welche Kiesel die besten waren. Und als sie Sonntags drauf ihrem Mann die neue Suppe auf den Mittagstisch setzte, warf er ihr die Kieselsteine fluchend an den Kopf

Aber ihren Porto beziehen die Leute immer noch von demselben Reisenden.

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