Original

30. Mai 1925

Es gibt geheimnisvoll klingende Wörter, in denen die Seele Cagliostros, Beckerellis, Rasputins, Rapoleons, Ludendorffs und Diogenes’ wohnen könnte, aus all den Seelen dieser Extremen in eine verschmolzen, voll der Schläue und Gewandtheit und Überlegenheit und dennoch arglos, wie der Philosoph im Faß.

Kürzlich hörte ich wieder ein solches Wort. Sie können sich nichts dabei denken. Es heißt: Türky. Nicht Turquie und nicht Turkey. Sondern Türky. Es klingt fremdartig, bedeutungslos und deshalb dunkel im Sinn. Und trotzdem, wette ich, denken Sie sich etwas dabei. Irgendwo jenseits der Bewußtseinsschwelle, aber schon daran rührend, einen Fuß darüber gehoben, steht die Vorstellung dessen, was Türky sein könnte. Truthahn? Odaliske? Harem? Janitscharenmusik? Es will Gestalt gewinnen und ist ein Kaleidoskop von Gestaltscherben, die sich zum Aneinanderfügen aufgeregt suchen.

Ich will Sie nicht länger auf die Folter spannen und erzähle gleich die Geschichte, die auf „Türky“ aufgebaut ist.

Sie nannten ihn den Monny. Es gibt Leute, die zum Onkel geboren sind. Man könnte sie sich als Vater, Bruder, Sohn, Großvater, Enkel oder in trgendeinem andern Verwandtschaftsverhältnis mit dem besten Willen nicht vorstellen. Auf das Wort Monny aber springen sie sofort in die Erscheinung. Ein Monny ist ein Mann, der gemütlich und gescheut, wohlhabend und wohltätig, gesund und allezeit bei gutem Humor ist, trefflich Skat, Whist und Zwick spielt und sich, so gern er in die Tasche greift, nicht übers Ohr hauen läßt. Er ist kein Schwätzer, seine Rede ist wenig, aber deftig. Man hat ihn unisono gern, und wenn er stirbt, stehen sympathisch gehaltene Nachruse in den Zeitungen.

Einstweilen lebt er noch. Aber ein anderer war begraben worden, und es gehörte zu den Obliegenheiten des Monny, die Familie bei allen Begräbnissen auf 10-15 Stunden im Umkreis zu vertreten.

Nach dem Begräbnis saß man im Hotel, nahe am Bahnhof, und vertrieb sich die Zeit mit einer kleinen Partie Zwick. Der Einsatz war nicht zu knapp. So liebte es der Monny. „Das Spiel ist nicht für die Blinden,“ pflegte er zu sagen.

Es dauerte nicht lang, so hatte sich im Körbchen eine erkleckliche Summe angehäuft. Der Monny sah auf die Uhr. Es war an der Zeit, daß sein Zug fahren mußte. Auf einmal breitet er seine Karten auf den Tisch und sagt: Türky! Zugleich ergreift er das Körbchen, leert den Inhalt in seine Tasche, setzt den Zylinder auf und enteilt.

Verblüfft sehen sich die andern an und einer, der sich so weit gesaßt hatte, ruft dem Monny nach:

„Ja, aber! Was heißt denn das!“

„Was!“ ruft der Monny über die Schulter zurück. „Wißt Ihr nicht, was Türky ist? Das ist die höchste Figur im Zwick. Ich habe jetzt keine Zeit, da kommt mein Zug, ich erkläre es Euch das nächste Mal!“

Und fort war er.

Ich konnte nicht erfahren, ob die Geschichte eine Fortsetzung hatte. Aber dieser erste Teil genügt, damit das seltsame Wort „Türky“ in Ihrer Phantasie klingt, wie ein Schellenbaum.

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KatalognummerBW-AK-013-2927