Eines der Arbeiterbataillone der Armee Giorgetti ist über das alte Haus Wirtgen hergefallen, um es vom Erdboden zu tilgen.
Wer das Gruseln lernen wollte, brauchte sich dieser Tage nur in der Philippstraße aufzustellen und durch die leeren Fensterhohlen den ziehenden Wolken nachzuschauen und sich vorzustellen, so ungefähr und noch schlimmer könnte es in Luxemburg durch ganze Straßenzeilen aussehen, wenn bei einem nächsten Krieg die erste Woge der Zerstörung über uns hinflutete.
Es ist schade um das Haus Wirtgen, trotzdem Herr Bonn an der Stelle einen modernen Geschäftsbau errichtet, der sicher der Stadt zur Zierde gereichen wird.
Aber es ist schade um das Haus Wirtgen, wie es um eine liebe alte Märchentante oder Großmutter schade ist, die in der Familie wie ein Band zwischen heute und der Vergangenheit war.
Breit, behäbig, weitläufig lag das Haus Wirtgen im Herzen der Stadt. Mit schlichten, grauen Mauern, die vor längeren Jahren mit Zementornamenten überklebt wurden, damit sie nach Quadersteinen aussähen. Es war eine Karawanserei für Familien, Gesellschaften, Betriebe aller Art. Das Haus, das jetzt abgetragen wird, ist nur die eine Hälfte des Grundstücks, das den Namen Wirtgen trug, die andere Hälfte, das „neue Wirtgenhaus“, beherbergte vor einem halben Jahrhundert u. a. die „Luxemburger Zeitung“ und später während eines Menschenalters die Musikalienhandlung Guill. Stomps.
In dem alten Wirtgenshaus befand sich um die sechziger Jahre die Posthalterei. Es war sozusagen der Bahnhof des ausgedehnten Postkutschenbetriebs, an dessen Spitze der landbekannte alte Herr Wirtgen stand. Im Erdgeschoß an der Ecke der Philippstraße hausten vor sechzig Jahren ungefähr die Geschwister Ganter, die für unsere Mütter und Großmütter die Hüte bauten, später befanden sich dort die Geschäftsräume der Speditionssirma Welter, der das Tuchgeschäft Bernhard Fischer folgte, worauf dann mit dem Einbruch der fremden Biere die Wirtschaften unter verschiedenen Namen einander ablösten.
Von diesem Erdgeschoß war getrennt der nach dem Paradeplatz zu liegende Teil, der in der letzten Jahrhunderthälfte nacheinander das Damenmaßgeschäft Düttmann-Krombach, die Bierwirtschaften Luxhof und Jentgen Vater beherbergte. Schon damals hatte im Innern ein Umbau stattgefunden. Unter Papa Jentgen war das Lokal, das aus mehreren durch Treppchen verbundenen Räumen bestand, sehr populär. Dann ging das Haus durch Kauf in die Hände des Bierverlegers Zander über und ein neuer, durchgreifender Umbau schuf Raum für die Bierwirtschaft Jos. Jentgen’s, der später nach Diekirch übersiedelte und dort das Hôtel du Midi zu hoher Blüte brachte. Wenn er in diesen Pfingsttagen durch ein Himmelsfenster zusehen konnte, wie sein Unternehmen weiterblüht und gedeiht, so wird er seine helle Freude dran gehabt haben.
Nach ihm bezog das Lokal die Möbelhandlung Bonn, die durch Abbruch des alten Hauses nunmehr Raum für ein modernes Lager schafft.
Es ist hier schon ein Dutzend Mal dafür eingetreten worden, daß die Stadtverwaltung ein Archiv von Photographien aller Häuser anlegen möchte, die aus dem Straßenbild verschwinden. Das Haus Wirtgen hätte sicher verdient, im Bilde der Nachwelt erhalten zu bleiben. Noch wäre es Zeit, zu retten, was zu retten ist. Aber rasch, denn bei dem Tempo, in dem die Arbeiten fortschreiten, ist zu erwarten, daß das alte Haus in einigen Tagen dem Boden gleich gemacht sein wird.