Wie eine Riesenschnauze sich zum Ausruhen platt und behäbig auf den Boden streckt, so legt der Berg seinen Vorsprung in den Talkessel von Clerf.
Um die Schnauze herum necken und lecken die glasklaren Bachwellen, und über die Schnauze hinauf sind im Lauf der Jahrhunderte die Menschen geklettert und haben die Fundamente ihrer Häuser in die spröde Epidermis des Berges gehauen. Ganz unten die Ritter und ganz oben die Heiligen. Die oberen haben es am längsten ausgehalten, denn die Heiligen waren immer klüger als die Ritter.
Es war ein idealer Baugrund. Wer da wohnte, mußte sich erhaben dünken über die andern, die im Tal ihr Leben spannen aus feinen und groben Fäden.
Zwischen Schloß und Kloster dehnte sich der Grat verlockend in die Höhe. Es kam darauf an, wie er endgültig besiedelt wurde. Davon hing es ab, ob Clerf eine Perle des Öslings bliebe oder ein Krähwinkel voll tragikomischer Häßlichkeit würde. Man hat Beispiele dafür, daß solche Landstädtchen durch wohlgemeinte Privatbauten an exponierter Stelle, über deren Banalität man heulen könnte, für Jahrhunderte verschandelt wurden. In Clerf hat der Schloßbesitzer seine neue Villa zum Glück abseits gebaut, wo ihr naives Protzentum das Bild des Ganzen nicht verderben kann. Aber die Gefahr bestand, daß den Berg hinauf der Ungeschmack Triumphe feiern würde. Ein nüchterner Kasten mit schüchternen gotischen Velleitäten hatte schon einen vielversprechenden Anfang gemacht. Da setzte sich zum Glück die neue Kirche mitten hinein und wurde wie ein feierlicher Protest gegen jede nachmalige poesielose Verschandelung der Gegend, wie ein Versprechen, daß sie jeden Versuch nach dieser Richtung hin im Keim ersticken würde. Und auf des Berges Gipfel schloß sich das Kloster der Kirche an. Aber dazwischen blieb noch eine Lücke, die zur Bebauung herausforderte. Der Frömmigkeit war oben und unten genug getan, also mochten auch einmal profane Baubedürfnisse sich auswirken. Ein Mißgriff an dieser Stelle hätte in der Landschaft katastrophal gewirkt. Hier ist Geschmacklosigkeit schlimmer, als Verbrechen. Eine gutgekleidete Frau zieht den Tod einem geschmacklosen Hut vor.
Wer eine Zeitlang nicht in Clerf war, empfindet auf Anhieb die Ausfüllung der Lücke durch ein schönes, wirklich modernes Wohnhaus als einen Wohlklang, eine Beruhigung. Es steht in seiner einfachen Gliederung und raffiniert harmonischen Linienführung in der Umgebung, wie ein organisch Gewachsenes, aus dem Berg in glücklicher Entfaltung emporgetrieben. Es strebt mit allen Giebeln hinauf wie ein Ausklang der Landschaft. Es ist nicht aus den Formen prätentiöser Palastarchitektur heruntergedämpft auf das Niveau bürgerlicher Nüchternheit von heute, sondern vom Zug der Zeit aus dem bodenständigen Wohnhaustyp hinaufentwickelt und zum Werkzeug einer Wohnkunst - denn Wohnen ist auch eine Kunst! - edelster Kultur gestaltet. Das alles verrät sich bezeichnenderweise schon in der Gesamtwirkung der Außenflächen nach Form und Ton.
Clerf hat mit diesem Neubau Glück gehabt. Man möchte allen unsern Landstädtchen, in denen reiche Leute sich neue Häuser bauen, dasselbe Glück wünschen. Vorbilder dieser Art kann man nie genug zur Nachahmung empfehlen.