Wer in unserm Land seinen Namen ändern will, muß dafür den Apparat der Gesetzgebung in Bewegung setzen. Eine Namensänderung ist wichtig, denn sie kann unter Umständen eine Irreleitung der öffentlichen Meinung sein.
Da sollte man sagen, der Name einer Straße dürfe erst recht nicht ohne Gesetz abgeändert werden, denn ein Straßenname bildet unter Umständen einen Teil vom Namen eines jeden, der in der Straße wohnt. Der Herr Lehmann, der in der Großstraße wohnt, ist ein ganz anderer, als der Herr Lehmann aus der Beaumontstraße.
Trotzdem hat kürzlich eine Straßenbenennungskommission hier die Straßennamen von Grund auf durcheinander gerüttelt und der Stadtrat hat dazu Ja und Amen gesagt. Ich hoffe, es wird eine Übergangsperiode verstattet, in der beide Namen, der alte und der neue gelten, denn so rasch prägt sich niemand die Hunderte neuer Benennungen ein, zumal wenn es sich um alteingewurzelte Bezeichnungen handelt.
Die Kommission beging ein erstes Unrecht, als sie bestehende Namen abschaffte und durch andere ersetzte. Sie hätte sich darauf beschränken sollen, die Straßen zu taufen, die es noch nicht waren. Wo der Volksmund einer Straße ihren Namen gegeben hatte, lag es am nächsten, diesen beizubehalten. Solche Namen sind immer ein Stück Folklore und besagen für unsere Kulturgeschichte unendlich viel mehr, als die Namen der schönsten Blumen, der berühmtesten fremden Dichter und der größten Städte des Auslands. Die Kommission hätte sogar weiter gehen sollen und da, wo sich im Volksmund ein Name gegen den offiziellen Nebenbuhler zu erhalten gewußt hat, jenen endgültig vorschlagen müssen. Niemand sagt zum Beispiel Genisterstraße, sondern Lantergässelchen, die Chimaystraße heißt beim Volk überall Dreikineksgaaß, die Maria-Theresienstraße Önneschtgaaß. Warum nicht sagen: Laternengäßchen, Dreikönigsstraße, Untergasse? Ein Mann namens Chimay hat mit der Dreikinelsgaaß nie in irgendwelchem Zusammenhang gestanden, so wenig, wie die Kaiserin Maria Theresia mit der Untergasse. Wogegen hier jedermann weiß, warum diese Straßen vom Volk ihre Namen erhalten haben. Ob das einen tieferen philosophischen oder historischen Crund hat, ist wertlos. Wir tragen ja auch in den meisten Fällen Namen, die an sich nichts mehr bedeuten, als einen Klang, hinter dem ein Mensch steht.
Und warum hat die Kommission die Namen von Leuten abgeschafft, die zum Beispiel durch wirtschaftliche Initiative ihr Andenken auf einem bestimmten Fleckchen Erde verewigt haben, wie Cossé, Schmitz, Heintz usw.? Die Brüder Schmitz zum Beispiel sind die Söhne ihrer Arbeit, aus dem Volk hervorgegangen und durch Fleiß und Geschick zu Wohlstand gelangt. Sie legten eine Straße an, bauten Häuser daran und die Straße hieß für jeden Schmitzstraße. In einem demokratischen Staatswesen sollten solche Vorbilder hochgehalten werden. Hier wird der Name Schmitz gestrichen und durch den eines fremden Königs ersetzt, von dem bei einer andern Gelegenheit niemand etwas wissen wollte. Und die Namen Jos. Heintz und Cossé? Die Cossé-Straße ist durch eine Reimsstraße, die Heintz-Straße durch eine Semoisstraße ersetzt. Warum? Reims erinnert an Champagner und Semois an Tabak, wie Cossé und Heintz, allerdings. Aber an die ganze Eigenart der Lebensarbeit dieser beiden Männer erinnert nichts mehr. Und doch hätte die Erinnerung an ihr Wirken, geweckt durch jene Straßennamen, stets ein besonderes Kolorit gehabt.
Dem belgischen Albert gibt man Heimatrecht im luxemburger Adreßkalender, der gute alte Adolph, der es so aufrichtig und ehrlich gemeint hat, wird aus der nach ihm getauften Avenue hinausgetan. Wahrscheinlich, weil er sich im Volksmund nicht durchsetzen konnte. Aber glaubt man denn, das Volk werde jemals den Namen Freiheitsavenue gebrauchen? Sie heißt die Neue Avenue, wie die Adolphbrücke die Neue Brücke heißt, und die Kommission hatte weiter nichts zu tun, als diesen Taufakt von Volks wegen zu registrieren und gutzuheißen. Unserm angestammten Freiheitssinn hätte das keinen Eintrag getan, er braucht keinen behördlichen Stempel.