Original

9. Juni 1925

Sie haben mit Ihrer Beobachtung vollkommen recht, Gnädigste. Das Telephon hat die marktgängige Höflichkeit in verderblicher Weise beeinflußt. Wenn zweie sich persönlich, in Fleisch und Bein gegenüberstehen, sodaß einer des andern Mund, Augen, Gesichtsausdruck, Körperhaltung sieht, so stellt sich automatisch, wie eine Wage, das Verhältnis her, in dem beide zueinander stehen, und aus diesem Verhältnis ergibt sich die Dosierung der Höflichkeit von einem zum andern.

Beim Telephon fällt die persönliche Gegenwart weg und damit das, was in übertriebenem Maße als Augendienerei wirkt. Ein Kommis, der vor seinem Chef, wenn er ihm in seinem Büro gegenüber steht, in Unterwürfigkeit erstirbt, streckt ihm am Telephon mit Genuß die Zunge heraus. Was von der alten Höflichkeit am Telephon übrig bleibt, ist das, was davon in die Stimme gelegt werden kann. Aber auch dieser Glanz scheuert sich allmählich ab, weil er unnütz geworden ist. Keine Errungenschaft unserer Zeit ist so ausschließlich auf Sachlichkeit gestellt, wie das Telephon. Ihm ist Sachlichkeit oberstes Gesetz. Höflichkeit aber ist meist das Mäntelchen, das der Unsachlichkeit umgehängt wird. Im Telephonverkehr wirkt das Mäntelchen komisch. Erinnern Sie sich aus einem französischen Lustspiel der Verbeugungen und Kratzsüße, die ein Höflichkeitssanatiker vor dem Telephon macht, während am andern Ende des Drahts eine Respektsperson steht? Die Wirkung ist elementar. Es gibt noch heute hierarchisch stramm eingeordnete Naturen, die den Respekt auch am Telephon nicht los werden, Leute, die sich Krawatte und Weste zurechtzupfen und alle Knöpse überprüfen, ehe sie den Hörer vom Haken nehmen.

Sie sprachen von der naiven Rücksichtslosigkeit, die durch den Fernsprechverkehr gäng und gäbe geworden ist. Man vergißt zu oft, daß für den andern das Erscheinen am Telephon unter Umständen eine große Belästigung bedeuten kann. Es kann sich so auswirken, als ob jemand, der Sie anpumpen will, Sie aus dem Bad, oder aus einem Gesellschaftskreis heraus oder aus einer entfernten Gartenecke herbeizitieren ließe, um Ihnen kaltlächelnd anzuvertrauen, daß er dringend 750 Franken braucht, und daß er Sie ausersehen hat, damit Sie ihm den kleinen Gefallen tun.

Man kann sich in solchen Fällen revanchieren. Man kann dem Lästigen auch über den Draht energisch die Türe weisen. Mich ließ einmal ein Stammtisch in Bad Mondorf aus dem Schwitzbad dringend ans Telephon zitieren. Ich dachte unterwegs, ob es zuhaus brännte, ob ich das große Los gewonnen hätte und dergleichen. Und da hörte ich, wie jemand aus weiter Ferne schrie, ich möchte ihn entschuldigen, aber ob ich nicht wüßte, in welchem Jahr genau die Vaubankaserne abgebrannt sei. Ich nicht faul eröffnete ihm, er könne mir den Buckel hinaufsteigen. Den Rest hörte ich nicht mehr, weil ich die Kapsel mit äußerster Energie eingehängt hatte. Es kommt zuweilen vor, daß es bei Ihnen meldet, Sie rufen dagegen und der andre fragt, ob Sie Nummer 1326 sind. Sie verneinen. Eine halbe Minute später dasselbe Spiel. Eine weitere halbe Minute später abermals. Jetzt wird der andre grob und schreit: Aber in Dreiteufels Namen, wer sind Sie denn? Und Sie dagegen. Das geht Sie gar nichts an! und hängen ein. Und so bringt es das Telephon mit sich, daß zwei höfliche Menschen sich mit einem gewissen Gefühl der Genugtuung Grobheiten sagen. Denn für jeden ist alles, was anonym hinter dem Quasselstrippenkasten steht der Feind, der einem nach dem Frieden trachtet.

Der größte Grobian aber ist das Telephon selbst das Ihnen, wenn Sie es benutzen wollen, regelmäßig mit hämischer Schadenfreude antwortet: Tätätä, für Sie hab ich jetzt keine Zeit!

TAGS
    Katalognummer BW-AK-013-2934