Original

13. Juni 1925

Mein lieber Abreißkalendermann!

Ich habe im Analytischen gelesen, was Herr Erpelding über die Fischerei und die Fischer in der Kammer gesagt hat. Ich weiß nicht, ob das sich machen läßt, wie er es sich denkt, aber ich weiß etwas, das sich ganz gut machen ließe, und wir bräuchten nicht zu fürchten, daß wir es nicht mehr erleben würden.

Ich bin ein alter „Grönnescher“ und ich weiß mich noch gut zu erinnern, wie die Alzette voll Fische war. Man hatte Sonntags und abends nach Feierabend sein „Geheichnis“, wenn man mit seiner Wurmangel sich ans Ufer setzen konnte und warten, bis der Kork zuckte und quer ins Wasser schoß.

Heute ist die Alzette, soweit sie durch die Unterstädte fließt, derart verschlammt und verseucht, daß nicht einmal die ordinärste „Dreckschlaap“ sich darin aufhalten kann. Aber von der Hastert’schen Mühle aufwärts sind die Wasserverhältnisse so, daß es den Fischlein pudelwohl in diesem Teil der Alzette sein müßte. Trotzdem sind sie auch da nahezu ausgestorben. Früher wurden dort herum die Hechte, Makrelen, Barsche, Mönen, Barben, Rotaugen, Aale usw. zentnerweise herausgezogen. Aber dann kam eine Zeit, wo oberhalb massenhaft Teer ins Wasser lief. Der Teer schwamm teils obenauf, teils setzte er sich am Boden fest. Ob nun die Fische nach oben Luft schnappen, ob sie am Boden Hochzeit feiern wollten, immer roch es nach Teer. Zumal in der Laichzeit muß das fatal gewesen sein. Oder finden Sie es vielleicht komfortabel, daß einem das Brautbett mit Teerschlamm bezogen wird?

Also wanderten die Fische aus und wir hatten das Nachsehen. Inzwischen sind die Betriebe wasserauf so umgestaltet worden, daß sie die Alzette nicht mehr mit Teer zu verunreinigen brauchen, und jetzt wäre also der Augenblick gekommen, wo der Fluß wieder mit appetitlichem Wasserwild bevölkert werden könnte.

Unsere Jungen spielen Fußball und gewöhnen sich an die frische Luft. Aber es kommt eine Zeit, wo sie für den Fußball zu faul und zu bequem werden und sich nach einer andern Beschäftigung im Freien umsehen. Einfach Spazierengehen, das ist gut für Philo- sophen und Hämorrhoidarier. Die können dabei ungestört ihren Gedanken nachhängen. Aber der normale Mensch hat den größten Genuß an der Natur, wenn er zu ihr in eine tätige Wechselbeziehung treten kann, wenn er sozusagen in sie hinein schafft und wirkt und sie ihm dafür ein Stück von sich als Eroberung überläßt. Vom Haselnußpflücken bis zur Hochwildjagd gibt es allerhand Arten, wie sich jene Wechselbeziehung herstellen läßt. Eine davon ist das Fischen.

Also tun Sie etwas für uns. Fragen Sie die Regierung, ob sie nicht ein paar Tausender für uns übrig hätte, um Fischbrut vom Grund bis Schleifmühl in die Alzette zu setzen. Es wäre zu herrlich, wenn wir wieder an dieser prächtigen Strecke entlang, durch eines der malerischsten Täler des Landes, am Flußufer unsere Sehnsucht könnten spazieren tragen.

Wie sagte doch Herr Abbé Schiltz selig: Alle halbe Stunde ein Anbiß, alle Stunde ein Fang, mehr verlange ich nicht! Aber man muß an die Möglichkeit des Fanges überhaupt glauben können. Es muß sein, als ob man in eine Lotterie setzte, die man alle fünf odr zehn Minuten selber zieht. Mögen die andern an den öslinger Bächen kunstreich ihre Fliegen werfen, wir alte Angler aus dem Grund wären schon heilfroh, wenn wir geruhsam am Wasser sitzen und unser Würmchen treiben lassen könnten. Und abends ein Pfündchen Weißfisch - alle Schaltjahre einen Hecht oder Aal heimbringen - und darauf schlafen wie ein Murmeltier. Also helfen Sie uns bitte weiter, wir wären Ihnen ewig dankbar.

Mit Hochachtung und Petri Heil!

Geipert, pens. Angelfischer, Grund.

B. M. an Herrn Oberforstdirektor Hub. Bertrang zur gefälligen Erledigung.

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    Katalognummer BW-AK-013-2938