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14. Juni 1925

Die Welt wird jünger mit jedem Tag! - Der Gedanke kam einem zum Beispiel während des kürzlich hier abgehaltenen Kongresses für Volks- und Sprachkunde beim Anblick der Lehrerscharen, die zum Vortragssaal störmten. Waren die Alten alle zuhaus geblieben, oder sind sie alle tot? Denn man erblickte nur junge, und die sahen nicht aus, als ob man in ihrem Beruf auffallend früh ins Gras beißen müßte.

Aber auch der Habitus dieser Jungen war ein anderer, als der ihrer Kollegen vor vierzig, fünfzig Jahren, nicht zu reden von den Zeiten, wo der Schullehrer nur eine Saison-Erscheinung war und abwechselnd mit dem Dorfhirten sich bei den Bauern herumaß. Die Älteren von uns haben noch den Typus Lehrer in der Erinnerung, wie er sich unter dem Gesetz von 1843 herausgebildet hatte. In den lothringer Dörfern um Rümelingen, in Ruxweiler, Wolmeringen usw. nannten sie damals den Schullehrer „Koschter“, und auch bei uns sah er mehr nach dem Küster, dem Faktotum des Herrn Pastors, als nach einem selbständigen und selbstbewußten Erzieher der Jugend aus. Sein Verhältnis zu dem allmächtigen „Herr“ drückte ihm den Stempel auf. Er stand zum Pfarrer in einem Abhängigkeitsverhältnis, das nicht amtlich dokumentiert, aber durch die Stellung des Dorfgeistlichen unweigerlich gegeben war. Meist fand dieses Verhältnis eine besondere Bestätigung dadurch, daß der Lehrer notgedrungen die Küsterstelle versehen mußte und so zu einer Art Lakai des Pfarrers wurde. Konnte ihn dieser nicht als Lehrer packen, so packte er ihn als Küster und gebrauchte ihn zu Dienstleistungen, über die dem letzten der heutigen Landlehrer im dunkelsten Ösling sich die Haare sträuben würden.

Aber auch wo der Lehrer sich am Küsteramt vorbeidrücken konnte, stand er wegen der Rechte des Klerus auf die Schule unter dessen Botmäßigkeit. Und dies Abhängigkeitsverhältnis drückte sich in seinem Äußern aus. Der ungebildete Mensch wächst sich in der Knechtschaft zu einem ganz andern Typ aus, als der gebildete Intellektuelle. Schüchtern, devot, vorsichtig, zur Not leisetreterisch, stündlich eines unverdienten Rüfsels gewärtig, so wanden sich die alten Lehrer durchs Dasein, in der Seele das Ideal der Freiheit, von der sie träumten, den starken Auftrieb des Klugen, der durch Unterdrückung nur noch klüger und stärker wird.

Einzelne gab es auch, die der sanften Tyrannei des Pfarrhauses sich trotzig entgegenstemmten, weil sie Morgenluft witterten. Aber das neue Gesetz mußte kommen, damit die Lehrerschaft mit ihren Ansprüchen auf volles Bürgertum festen Boden unter die Füße bekam.

Heute gehört jener Typus der Geschichte an. Wir sahen in den Tagen nach Pfingsten unsere Lehrerschaft vertreten durch ein gut gewachsenes, gut gekleidetes, gut genährtes Geschlecht, flotte Burschen, nach denen sich die Mädels auf der Straße umdrehen und über die sich ihre Inspektoren Gedanken machen wie die Hennen, die Entenkücken ausgebrütet haben. Man darf sich von diesen, die eine Funktion ihrer Zeit sind, einen heilsameren Einfluß auf die Jugend versprechen, als von dem armen, vielgeplagten Dorfschulmeisterlein des alten Spottliedes.

Freilich, der Herr Pfarrer, der Herr Bürgermeister und andere dicke Bauern zögen vor, daß es wieder wäre, wie früher, wenn sie es auch öffentlich nicht Wort haben wollen.

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    Katalognummer BW-AK-013-2939