Original

18. Juni 1925

Wir fuhren den grünen Fluß entlang, zur Zeit der Apfelblüte. Es war so schön, daß einem Skrupel aufstiegen, ob soviel Schönheit nicht den Neid der Götter herausforderte. Doch dies nur nebenbei.

Ein Schloß lag am Weg. Eine dichte, hohe Taxushecke lief das Besitztum entlang, darüber schimmerte der weißrosa Blust der bräutlichen Apfelbäume. Das Dach hatte eine sanft gelbe Mooshaut, Taubenflüge wiegten sich ab und an, aus blinden Scheiben blinzelte das Schloß greisenhaft und gutmütig herüber.

„Wer wohnt jetzt da drin?“ frug ich.

Ich wußte, daß die, die den Namen des Schlosses getragen hatten, längst ausgestorben waren. Neffen und Nichten, Vettern und Basen hatten den Stammsitz der Familie verhökert und ihre Renten in den Städten von Frankreich, Belgien und Preußen verzehrt. Allerhand Mietparteien folgten einander, es kam wohl auch einer, der das alte Schloß in einer idyllischen Anwandlung kaufte und es vor Langeweile keine drei Jahre darin aushielt.

Mein Freund wußte auch nicht genau, wer jetzt in dem Schloß wohnte. Es hatte einmal ein französischer General oder ein amerikanischer Schweinemetzger oder ein belgischer Dichter darin gewohnt, so hatten die. Leute gesagt, aber wer jetzt darin wohnte?

Am Ausgang des Dorfes stand ein Bauernhaus. Fast schon ein Bauernhäuschen. Nicht zu groß, nicht zu klein. Ein Vaterhaus. In und aus der Landschaft gewachsen, wie das Moos auf dem Stein. Daneben ein großer „Bongert“ mit Äpfel- und Zwetschgenbäumen. Vor dem Haus, den Dunghaufen beschattend, ein riesiger alter Nußbaum.

Da sagte mein Begleiter:

„Hier wohnt mein Freund Jang, Märtes Jang. Die Märtes sitzen hier seit undenklichen Zeiten, seit ein Vorfahre namens Martin (Märten) das Haus gebaut und hineingeheiratet hatte.“

„Und so wird es anscheinend bleiben,“ sagte ich, als ich drei Kinder, ein Mädel und zwei Buben, aus der Haustür treten sah, jedes ein langes Käsebrot in der Linken, während die Mutter mit einem Jährling auf dem Arm hinter ihnen auf dem Flur stand.

Ist Ihnen nie aufgefallen, daß Schlösser heute viel öfter den Besitzer wechseln, als Bauernhäuser und Tagelöhnerhütten?

Früher saß ein Geschlecht Jahrhunderte lang auf seiner Stammburg, während im Tal ein Machtwort des Herrn die Bauern auf der Scholle umtreiben konnte.

Das Wesen der Geschichte ist nach Oswald Spengler die Entwicklung der hohen Kulturen, die mit urweltlicher Kraft aus einer Landschaft aufblühen, um nach dem Gesetze, dem jedes Lebewesen unterworfen ist, sich zu entfalten, zu reifen und schließlich zu verwelken.

Die gesellschaftliche Schicht, die die Schlösser baute und Jahrhunderte lang bewohnte - der Adel also, um das Kind bei seinem etwas anrüchig gewordenen Namen zu nennen - scheint ihren Entwicklungsgang vielfach bis zum Stadium des Verwelkens so weit zurückgelegt zu haben, jedenfalls insofern sie als ausschlaggebendes Organ im Räderwerk des gesellschaftlichen Ganzen Bedeutung hatte. Damit hörte auch ihre räumliche Absonderung, ihre Bindung an Dach und Scholle auf. Was darnach kam, hing nicht organisch mit der alten Schloßkultur, dem alten Schloßbesitz, der Schloßtradition zusammen. Es war ein Auf und Ab wirtschaftlicher Kurven. Wer aus den Tiefen kommt, sieht auf dem Gipfel der Kurve meist ein Schloß mit tönendem Namen und fühlt die ganze Gehobenheit seiner Stellung erst, wenn er aus den Spitzbogenfenstern jenes Schlosses die Gegend überblickt, die früher den Raubrittern als Schauplatz ihrer Tätigkeit diente.

Am Bauersmann geht die Entwicklung vorbei. Er bleibt durch die Jahrhunderte hindurch der ruhende Pol in der Erscheinungen Flucht. Weil die Erde, mit der er verwurzelt ist, auch immer dieselbe bleibt. Uns und ihm zum Glück. Darum geht sein Heim nicht von Hand zu Hand, und die Urenkel werden geboren und sterben in denselben Kammern, in denen die Urgroßväter zur Welt kamen und verschieden.

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    Katalognummer BW-AK-013-2942