Original

27. Juni 1925

Die Münchener Neuesten Nachrichten und das Hamburger Fremdenblatt setzen zusammen einen Preis von 100 000 Mark aus für den besten Zeitungsroman. Die Bedingungen lauten: Echt deutscher Roman, nicht phrasenhaft oder tendenziös, sondern ein in den tiefsten Problemen des deutschen Volkes wurzelndes und aus ihnen organisch wachsendes wirkliches Kunstwerk mit interessierenden Einzelschicksalen, die symbolhaft das Wesen unserer Zeit dartun. Soll also in Gegenwart oder allerjüngster Vergangenheit spielen. Ausgeschlossen sind parteipolitisch oder religiös polemisierende, ebenso vorwiegend in Dialekt abgefaßte Arbeiten.

Das Stuttgarter Neue Tageblatt schreibt einen Wettbewerb aus für einen Schwabenroman. Der Roman soll in Schwaben spielen. Die Handlung kann in die Gegenwart oder die Vergangenheit verlegt sein. Jedenfalls aber sollen Menschen und innere Handlung dieses Schwabenromans aus der besonderen geistigen und seelischen Atmosphäre des Schwabentums gesehen und gestaltet sein. Der Roman soll die lebhafte Handlung haben, die für einen in Fortsetzungen erscheinenden Roman nötig ist. Er soll aber keineswegs lediglich auf äußere Effekte gestellt sein, sondern durch das innere Motiv seines Geschehens, durch wahre Gestaltung der Charaktere und künstlerische Form der Sprache literarischen Wert haben. Das Blatt setzt als Preis 10 000 Mark aus.

Es käme also in beiden Fällen auf das heraus, was in der letzten Nummer des „Landwuel“ als Petitum aufgestellt war: Das Heimatbuch. Im ersten Fall das großdeutsche, im andern das schwäbische Heimatbuch.

Dem „Landwuel“ zufolge besäßen wir in dem Kintzlé’schen Roman „Auf der Wasserscheide“ bereits unser luxemburgisches, „das“ luxemburgische Heimatbuch.

Gibt es das überhaupt? Darf man in irgendeinem Land von „dem Heimatbuch reden? Kintzlé hat nach Erpelding und Zanen einen vortrefflichen Bauernroman geschrieben, dessen Vorzüge hier bei seinem Erscheinen ins Licht gerückt wurden. Aber auf dem Boden unserer Heimat wachsen noch andere, viele andere Menschen, als solche, die sich der Landwirtschaft widmen. Aus dem Wurzelstock des Bauernstandes ergänzen sich, zum Glück, die übrigen Stände. Näher, als sonstwo, stehen wir alle mit unserer Abstammung der Mutter Scholle. Aber das ist kein Grund, in der Heimatliteratur das Bauerntum als einzigen Repräsentanten des Volkes auffassen zu wollen. Man kann sich das luxemburgische Heimatbuch sehr wohl denken als „ein in den tiefsten Problemen des Volkes wurzelndes und aus ihnen organisch wachsendes wirkliches Kunstwerk“, wie im Preisausschreiben der Münchener Neuesten Nachrichten und des Hamburger Fremdenblatt der deutsche Roman definiert wird.

Freilich dürfte der Verfasser dieses Heimatromans nicht an die besondern Forderungen gebunden sein, die sich bei einem Zeitungsfeuilleton von selbst ergeben und die von den genannten Blättern folgendermaßen umschrieben werden: „Erhöhtes Augenmerk ist den besondern Anforderungen des Zeitungsromans zuzuwenden: jede Fortsetzung soll interessieren und auf die nächste spannen; also keine weitschweifigen Landschafts-, Milieu-, Zustandsschilderungen usw.“

Wer dem Luxemburger Land seinen großen Heimatroman schenken wollte, der müßte nicht nur die „tiefsten Probleme“ unseres nationalen Daseins allseitig erfaßt haben, sondern imstande sein, sein Wissen darum in einem „wirklichen Kunstwerk“ zu gestalten.

Ob einer, der das könnte, von einer luxemburger Mutter schon geboren wurde?

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    Katalognummer BW-AK-013-2949