Original

1. Juli 1925

Wenn die Bäche randvoll durch die Winter- und Frühlingswiesen strömen und der Regenschirm Trumpf ist, dann denkt niemand an die Quellen. Aber jetzt, wo der Nordost die Schleimhäute der Erde auszutrocknen droht, jetzt fangen wir an, uns die bange Frage zu stellen, wie lange die Quellen noch fließen werden. In solchen Tagen, wo sich die Menschen vor der Verschmachtung zu fürchten begannen, war es, wo die Quellen in den Ruf der Heiligkeit kamen und als lebenspendende Gottheiten angebetet wurden, wie die Sonne.

Die Quelle ist das Bleibende. Sie ist das treue Herz. „Wenn alle untreu werden ....“ Über die Oberfläche kommt allerlei Wasser großmäulig ihr zugflossen: Du armes Quellchen, plagst dich jahrelang, um einen armdicken Strahl zuwege zu bringen. Steh uns, acht Tage Regen haben genügt, aus jedem von uns einen Bach zu machen!

Und sie buttern die arme Quelle unter, tun in ihrem Namen dick, wälzen sich knotenhaft durch die Landschaft, wie ein betrunkener Gesangverein, machen sich nichts daraus, daß sie trüb und schlammig sind, wenn es nur recht rauscht und schäumt. Und dann kommt wieder der stille Werktag der Arbeit, wo jeder auf sich selbst gestellt ist, all die vorlauten und schmutzigen Rinusale von rechts und links fallen ab und lassen die Quelle wieder allein, und wir fragen uns bange, wie lange sie, die Treue, nun denn noch fließen wird.

Es ist etwas Geheimnisvolles, Ewiges, Reines und Gütiges um jede Quelle.

Für uns tritt sie erst in die Erscheinung in dem Augenblick, wo sie aus der Nacht des Erdinnern an die Sonne springt. Da beginnt für uns die Quelle. Was sie vorher war, das besteht für unsere Vorstellung nicht. Und doch ist das in ihrem Lebenslauf die Hauptsache. Seit Tausenden von Jahren, seit der Leib der Erde sich in seiner heutigen Schichtung gebildet hat, folgt drinnen die Quelle denselben Irrgängen, denselben Gesetzmäßigkeiten, demselben Weg. Und ihr Weg im Innern der Erde dauert länger, viel länger, als ihr Weg unterm freien Himmel. Der Tropfen, den Wald und Acker aufsaugen, braucht Jahr u. Tag, bis er durch den reinigenden Schoß der Mutter Erde hindurchgegangen ist und mit der Quelle aus Licht geboren wird. Jahre lang lebt die Quelle drinnen ihr dunkles, geheimnisvolles Leben, ganz für sich, trinkt die Finsternis in ihr klares Auge - bis sie für uns die sichtbare Quelle wird, dann ist ihr Eigenleben im Nu zu Ende - eine kurze Strecke, ein paar Stunden lang, so verliert sie sich an einen Größeren, in dem sie aufgeht, und was alles sie an geheimen Kräften vom Urgestein da drinnen mitbekommen, verwäscht und verflüchtigt sich mit der Poesie, die um die Quelle war, wie Duft von Walderdbeeren. Und sie verliert ihren Namen und wird, man kenn wohl sagen, zu einem nützlichen Glied der Gesellschaft. Ach, die nützlichen Glieder der Gesellschaft! Warum nennt man so nur die, die am meisten von der Gesellschaft beanspruchen? Wieso war Hugo Stinnes ein nützlicheres Glied der Gesellschaft, als der Landstreicher, der sich leben läßt und nie daran denkt, den kreisenden Strom des Reichtums so zu lenken, daß er an fremden Taschen vorbei in seine eigene fließt!

Die Quelle aber wird ein wirklich nützliches Glied der Gesellschaft. Sie tränkt uns, sie treibt unsere Turbinen, sie wässert unsere Wiesen - und sie hat den Gestank für den Dank. Buchstäblich! Wir beschmutzen und vergiften sie. Wir vergiften sie, wie ein Wollüstling Frauen verseucht und in ihnen die Keime des Lebens vergiftet, an denen andere dann verderben.

Aber wir verdienen Geld dabei. Nur manchmal, wenn wir vor einer jungfräulich reinen Quelle stehen, möchten wir hinknieen und die Hände falten und andächtige Reue fühlen vor so viel Reinheit, die früh oder spät dem Verderben und der Beschmutzung geweiht ist.

Solche Heuchler sind wir!

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