Mein lieber Grimmberger!
Sie schreiben mir, daß Sie mit nächstem Ersten in Pension gehen und möchten von mir wissen, wo Sie sich während Ihres Ruhestandes niederlassen sollen.
Sie haben recht gehabt, sich grade an mich zu wenden. Ich wüßte nicht, wer aus Ihrem Bekanntenkreis bereit wäre, Ihnen in dieser Angelegenheit so offen und ausrichtig zu raten, wie ich. Erstens, weil ich Sie einigermaßen genau zu kennen glaube, und zweitens, weil Sie mir trotz Ihrer Widerborstigkeit sympathisch sind.
Jedes paßt sich nicht für jeden. Der eine schlägt leichter Wurzeln im Ösling, der andre an der Mosel, ja ich kenne welche, die auf ihre alten Tage Spaß daran finden, sich mitten im Ameisenhaufen einer Industriestadt anzusiedeln.
Das wäre nichts für Sie. Das Idyll einer ruhigen Ortschaft an Mosel oder Clerf oder Wiltz oder Attert wäre jedenfalls Gift für Sie, grade wie die Ausgeregtheit einer Industriemetropole. Sie bekämen Streit mit dem ganzen Dorf, beim Pastor angefangen. Sie gössen das Scheidewasser Ihrer mißgelaunten Satire über alle und alles und es käme so weit, daß die Leute Sie aushungern würden. Sie vertragen das reine Land nicht. Keiner, der im Umkreis der Altstadt Luxemburg, zwischen Schneitz und Conrot, Hellepull und Berlaymont das Tageslicht erblickt hat, verträgt das reine Land.
Wissen Sie was, lieber Grimmberger, ziehen Sie nach Mondorf. Kaufen Sie sich dort eine kleine Villa mit einem Gemüsegärtchen. Rehmen Sie eine Haushälterin, die noch nicht zu alt ist und die leidlich kochen kann. Ich verpflichte mich, Ihnen alljährlich zur Zeit der dicken Bohnen einen Besuch zu machen. Mondorf ist groß genug, damit sie sich nicht jeden Tag über alles ärgern können, Sie haben für Ihren Ärger Rohstoff genug für einen vernünftigen Turnus, aber Mondorf ist andrerseits nicht so groß, daß Ihr Ärger sich darin verlöre, wie ein Tropfen im Meere. Es ist für Sie wie auf Maß gearbeitet.
Eine Hauptsache aber ist - wie soll ich das gleich sagen? Mondorf ist das ideale Mittel gegen Ihre Hypochondrie. Wenn alle Hypochonder der ganzen Welt und alle die, die unter ihnen zu leiden haben, eine Ahnung hätten, was für sie das Wasser der Mondorfer Quellen bedeuter, es kostete hundert Franken die Flasche. Ich wette, wenn Sie ein Jahr in Mondorf gelebt - rationell gelebt haben, wie man das dort soll - ich wette, Sie müssen Ihre ganze kühle Vernunft zusammennehmen, um nicht aus lauter Lust am Leben Ihre Köchin zu heiraten.
Für einen alten Staatsrentner, wie Sie, gibt es keinen idealeren Aufenthaltsort, als Bad Mondorf. Sie werden sehen, es dauert nicht lang, so wird es zur luxemburgischen Pensionopolis, wie es Wiesbaden seinerzeit für die preußischen Generäle und Geheimräte war. Es wird wimmeln von alten Steuerdirektoren, Enregistrementsdirektoren, Hypothekenbewahrern, Postdirektoren, Regierungsräten, Bürochefs, Unterbürochefs, Oberingenieuren, Staatswegewärtern, Briesträgern und Ministern. Zumal Ministern.
Im Frühling fängt das Badeleben langsam an und schwillt im Herbst allmählich ab. Sie lassen sich davon tragen wie von einer lauen Woge. Sie gehen im Park spazieren, sehen den Tennisspielerinnen zu, hören an der Pergola die treffliche Musik, sehen allerhand kleine Intrigen sich an- und abspinnen, sind mitten im Leben, wo es am angenehmsten ist, weil es nicht Kampf, sondern Waffenstillstand bedeutet. Und im Winter leben Sie wie in einem Dornröschenschloß, mitten in bäuerlicher Umwelt auf einer lieblichen Kulturinsel, bis die Palmen und Lorbeer- und Granatbäume wieder aus der Orangerie geholt werden und mit der Ankunft der ersten Gäste das farbige Leben wieder in seine Rechte tritt.
Mondorf ist ein Symbol des süßen, sorglosen Müßiggangs. Sie haben ein verbrieftes Recht auf Müßiggang bis an Ihr Lebensende. Ziehen Sie nach Mondorf!