Es war nach der Stadtratssitzung, in der Herr Jacoby für den Cerclesaal eine höhere Miete gefordert und der Herr Bürgermeister ihm geantwortet hatte, dieser Saal gehöre der Bürgerschaft, sie habe ein angestammtes Recht, darin ihre Feste zu feiern und das dürfe man ihr durch eine prohibitive Saalmiete nicht unmöglich machen.
Vor dem Cercle stand, als ich vorbeiging, ein englisches Ehepaar und betrachtete interessiert die originelle Front des Baues.
Der Herr führte Zeige- und Mittelfinger an den Schirm seiner Reisemütze und fragte:
„Aoh, gestatten Sie gütigst, was ist das für ein Gebäude?“
„Das ist der frühere Kursaal von Luxemburg.“
„Kursaal? Früher?“
„Jawohl! Wir hatten uns einmal, vor vielen Jahren, hier in Luxemburg fest vorgenommen, eine Fremdenstadt zu werden. Wir haben alles, was man dazu braucht. Wir besitzen zwar keine Heilquelle, obgleich mit einigem guten Willen auch das sich machen ließe. Aber sonst haben wir alles, was dazu gehört, Fremden den Aufenthalt hier angenehm zu machen.
„I see!“ sagte der Engländer beifällig und seine Gattin nickte bestätigend.
„Da beschlossen wir, ein Gebäude zu errichten, das für uns denselben Zweck erfüllen sollte, wie für Ostende zum Beispiel sein Kursaal.“
„I see!“ sagte der Engländer wiederum verständnisvoll und seine Gattin schloß sich ihm an.
„Das Gebäude wurde fertig und seiner Bestimmung übergeben.“
„I wonder,“ sagte der Engländer.
„Es war ein voller Erfolg. Die Fremden kamen in Scharen und blieben zwei, drei Wochen. Im Erdgeschoß des neuen Kursaals war eine Musterküche mit einem Ratskeller, in dem ein Restaurant unter städtischer Kontrolle zur allgemeinen Zufriedenheit betrieben wurde. Es war an einen vorzüglichen luxemburger Traiteur verpachtet, der allen Geschmäcken gerecht zu werden wußte, im Essen und im Trinken. Bei Bällen, Banketts usw. hatte man die Verpflegung im Haus. Alljährlich von Mai bis September war Hochsaison und Abend für Abend erstrahlten die Fenster des neuen Kursaals. Entweder war Ball, oder Konzert, mit und ohne berühmte Solisten, oder ein Spezialitätenabend, und während die Söhne und Töchter der fremden Gäste mit den Töchtern und Söhnen der eingesessenen Familien trotteten und stepten und flirteten und die Mütter hoffnungsvoll zusahen, saßen die Väter und Onkel in den Nebensälen und legten eine kleine Bank auf, kurzum, es war ein harmloses Monte im Kleinen. Die Frequenz stieg in die Zehntausende, kein Amerikaner, der auf seiner Europa-Trip nicht wenigstens acht Tage Luxemburg eingeschaltet hätte, wir waren auf dem besten Weg, internationale Klasse zu werden.“
„Und da?“
„Da taten sich die damaligen Caféwirte - sie sind heute alle tot - zusammen und reichten eine Reklamation an den Gemeinderat ein, in der sie sich über den unlauteren Wettbewerb beklagten, den ihnen die Stadt mit dem neuen Kursaal machte.“
Der Engländer machte ein ungläubiges Gesicht.
„Jawohl. Und sie behielten recht. Der neue Kursaal wurde, wie man sagt, desaffektiert, wie die Kirchen und Klöster in Frankreich, seiner Bestimmung entfremdet. Die Küche rostet ein, im Ratskeller übt ein Männergesangverein «Buvons, buvons!» und andere vierstimmige Chöre, im großen Saal finden jedes Jahr drei bis vier Bälle nebst einer Gemäldeund einer Kaninchenausstellung statt, und in den Spielsälen tagen Gemeinderat und Sterbekassenvereine. Die Fremden langweilen sich einen, wenn es hoch kommt zwei Abende und fahren weiter nach Lengwy oder Trier. Und wir leben wehmütig in der Erinnerung an die fetten Jahre, wo dieser sogenannte Cercle noch städtischer Kursaal war.“
„I see!“ sagte der Engländer. „Wann fährt morgen der erste Zug nach Brüssel?“
„Wir wollten ja schon heute abend fahren!“ erinnerte ihn seine Gattin.
Und oben im Kursaal knipste die Portiersfrau die Lichter aus und schloß die Türen ab.